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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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nur einen! – Namen auf seinem Zettel notiert. Die fünf Personen mit den meisten Stimmen sollen dann den Job übernehmen. Wenn sie das wollen.«
    Es gab keinen Widerspruch.

41
    11:31 Uhr deutscher Zeit, Moskau, Roter Platz
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    Im Zentrum Moskaus kam es im Verlauf dieses Vormittags zu einer Versammlung von fast siebentausend Menschen. Die Ersten waren schon am frühen Morgen erschienen, in der Hoffnung, hier vor den Toren des seit gestern hermetisch abgeriegelten Kremls Antworten zu finden, Antworten, nach denen auch die russische Regierung dringend suchte. Während der Präsident und ein Großteil seines Kabinetts in Wladiwostok als Gastgeber des G8-Gipfels festsaßen, versuchte die zweite Reihe der Staatsführung wenigstens die Herrschaft über den Regierungssitz zu behalten.
    In der Nacht hatten Anarchie und Gewalt die Millionenstadt regiert. Jetzt, nachdem die Schießereien verklungen waren, wagten sich die Menschen wieder auf die Straßen.
    Gewohnheitsmäßig zog es diese zu der Institution, die seit Jahrhunderten ihr Leben regelte. In losen Gruppen lungerten Männer und Frauen auf den Stufen des Leninmausoleums herum, im Schatten der Kremlmauern und am Ufer der Moskwa. Sie diskutierten die Stromausfälle, vor allem aber die vielen Flugzeugabstürze und das abrupte Ende moderner Kommunikation. Und sie warteten auf das Erscheinen eines Abgesandten ihrer Regierung, der ihnen sagen konnte, was geschehen war und sagte, wie es weiterginge. Nach und nach bildete sich am Haupteingang zum Regierungssitz eine Menschentraube. Immer lauter wurden die Rufe nach Antworten und Hilfe.
    Sergej Iwanow war seit nunmehr dreißig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Auch gestern hatte er schon das Kommando der für die Sicherheit des Regierungssitzes zuständigen Eliteeinheit inne. Wla dimir Schawrow, der ihn hätte ablösen sollen, war nicht zum Dienst erschienen, wie so viele.
    Mit zunehmenden Unbehagen beobachtete Iwanow die immer weiter anschwellende Menschenmenge. Ihre Rufe waren laut, fordernd und aggressiv.
    Am Haupteingang hatte Iwanow einen Großteil seiner Einheiten zusammengezogen, den Rest der Truppe befehligte er mittels Boten, die wie vor hundert Jahren von einem Teil der Festungsanlage zum anderen rannten, Lageberichte einholten und Befehle weitergaben. Die Sonne stand bereits hoch über Moskaus Türmen als etwa siebenhundert Menschen versuchten, den Regierungssitz zu stürmen. Niemand beantwortete ihre Fragen und während sie hier im Vertrauen auf ihre Regierung ausharrten, wurden derweil ihre Wohnungen und Geschäfte geplündert, versank die Stadt immer mehr im Sumpf der Anarchie. Der Augenblick gebar eine Unzahl gieriger Trittbrettfahrer, die die Hilflosigkeit aller Institutionen ausnutzten und einen unvorstellbaren Raubzug gestartet hatten.
    11:44 Uhr deutscher Zeit gab Sergej Iwanow den Befehl zum Feuern. Siebenundzwanzig Maschinengewehre ratterten auf seinen Befehl hin ihre Magazine leer. Zwei Minuten später, als Iwanow die Folgen seines Befehls auf dem Roten Platz liegen sah, erschoss er sich mit seiner Dienstpistole.

42
    11:46 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Intensivstation
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    Evas Armbanduhr zeigte Viertel vor zwölf. Dr. Stiller war noch immer nicht zurück. Sie saß an Aleksandr Glücks Bett und hielt dessen Hand. Glück hatte in den letzten Stunden zusehends an Kraft verloren und mit jeder Minute, die Stiller länger wegblieb, schwand sein Lebenswille weiter.
    Beck hatte mittlerweile die Barrikade aus Leichen und Betten beiseite geräumt – er hatte alles in den Aufwachraum geschleppt, sich dabei mehrfach übergeben und schließlich die Tür dahin verriegelt. Seitdem pendelte er zwischen Intensivstation und OP-Trakt. Als kön ne er sich selbst nicht trauen, überprüfte er wieder und wieder die Tür, hinter der er das Muskelpaket und seine Helfer wusste. Als er gegen halb neun – Stiller war gerade in die falsche Richtung davongejagt – zum ersten Mal vor der Tür stand und den Riegel und den kleinen Wa gen, den er unter die Klinke gestellt hatte, überprüfte, hatten seine Gefangenen ihn angefleht, sie freizulassen. Ihre Stimmen klangen durch die verschlossene Tür dumpf, wie aus einer anderen Welt.
    »Sie können uns doch nicht hier drin verhungern lassen!« Das muss te der Penner gewesen sein. »Bitte! Ritter ist krank, sein Bein ist entzündet!«
    Sehr schön, dachte Beck, hoffentlich verreckst du daran!
    Eine Stunde später, er hatte sich an das Gefängnis geschlichen, hör te er den

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