Rattentanz
diesen Eingriffen wurden den Patienten, durch kleine Löcher im Bauch, im Handumdrehen die viel zu fetten Gallenblasen entfernt. Einer der langen Stäbe trug die Kamera in seiner Spitze, der Monitor stand auf einem anderen, fahrbaren Tisch, ein Stab hatte eine kleine Schere. Es gab auch überdimensionale Klemmen und Röhren, durch die man Gas oder Spülflüssigkeit in den Patienten pumpen konnte. Fast gefährlich wirkten die verschiedenen Trokare, spitze Arbeitshülsen, die durch die Bauchwand gestoßen wurden und als Führung für diverse Instrumente dienten. Neben den Kisten mit den Operationsbestecken standen sechs Flaschen Kochsalzlösung, von denen die Männer drei sofort getrunken hatten. Eine weitere Flasche ging drauf, als Mehmet sich das verkrustete Sekret von den Händen wusch. Fuchs’ Protest quittierte er mit einem Achselzucken. Die nächste Flasche brauchten sie, um Ritters glühende Stirn zu kühlen. Die verbliebene letzte Plastikflasche stand nun einsam im Regal und abwechselnd warfen ihr Fuchs und Mehmet begehrliche Blicke zu.
Vor zwei Stunden hatte sich in den Gestank, der aus dem Bauch des Toten aufstieg, ein weiterer, mindestens genauso unangenehmer Geruch gemischt. Ritter hatte den Kampf Wille gegen Darm aufgegeben und dessen Inhalt schließlich in seine Hose entleert. Danach war er zufrieden eingeschlafen, die Beschimpfungen, die auf ihn einprasselten, hörte er nicht mehr.
»Jetzt komm endlich her.« Fuchs wartete auf dem Operationstisch und starrte hinauf zu der Kuppel. Bisher hatte diese all ihren Versuchen, sie zu öffnen, widerstanden. Sie war von außen fest verschraubt. Auf Fuchs Schultern stehend, hatte Mehmet im Verlauf des Vormittages mit allen möglichen Utensilien auf den Kunststoff eingeschlagen, aber immer mit dem gleichen ernüchternden Ergebnis.
»Sieh her, damit müsstest du es schaffen.« Fuchs hielt einen der Trokare in der Hand, ein knapp dreißig Zentimeter langes Edelstahlrohr, vorn schräg abgeschnitten wie eine Kanüle. »Oder willst du hier verhungern und verdursten? Kannst dich ja zwischen die beiden Toten da legen.«
»Er ist nicht tot!« Mehmet kam auf Fuchs zu.
»Noch nicht, mein kleiner Freund, noch. Aber sieh dir deinen starken Helden doch an! Wenn kein Wunder geschieht, wird der gnadenloseste Hosenscheißer, den dieser Raum hier je gesehen hat, bald ausgekackt haben, oder?«
»Warte nur, wenn wir wieder draußen sind und Ritters Bein verheilt ist, dann, dann …«
»Was dann?« Fuchs setzte sich auf den blanken Metalltisch, musterte Mehmet und spielte dabei mit dem Trokar. Er spielte mit dem Verschluss am Ende des Rohres und drückte prüfend mit einem Finger gegen die Stahlspitze. Ziemlich spitz. Verdammt spitz sogar. Er sah abwechselnd zu Mehmet hinüber und auf das Ding in seiner Hand. Es war eine Waffe, wenn man es richtig anstellte. Sie lag schwer in seiner Hand und glänzte. Wenn er dem Bengel jetzt den Trokar in den Bauch rammte, hätte der nicht mal mehr Zeit, nach seinem hosenbeschmutzenden Freund zu rufen. Alles würde ganz schnell und lautlos passieren, einfach nur hinein in den kleinen Widerling und fertig. Ein Problem weniger.
Und einen Helfer weniger!
»Komm jetzt her und nimm das. Es hat keinen Zweck, wenn wir uns streiten. Allein kommt keiner hier raus, das kannst du mir glauben. Los, ich heb dich noch mal hoch und du versuchst mit der Spitze hier das Fenster einzuschlagen, verstanden?«
»Hm«, knurrte Mehmet und nahm Fuchs den Trokar aus der Hand. Er stieg zu Fuchs auf den Tisch und setzte sich auf dessen Schultern, dann richtete der Ältere sich auf. Mehmet hielt sich mit einer Hand an Fuchs’ Kopf fest, in der anderen hielt er den Trokar. Ein falsches Wort, dachte er und betrachtete die Spitze des Rohres, und ich stoße dir das Teil in deinen elenden Schädel, stech dir die Augen aus!
Aber Fuchs blieb still.
Er stand jetzt mit leicht gespreizten Beinen auf dem Operationstisch und Mehmet kletterte, nun schon zum dritten Mal an diesem Tag, auf Fuchs’ Schultern und streckte sich dem Deckenfenster entgegen. Oben stützte er sich mit einer Hand am Fensterrahmen ab, dann begann er den Trokar wie einen Dolch gegen den Kunststoff zu stoßen. E
rster Stoß. Da hast du’s, du Bastard, dachte Mehmet und die Vorstellung, mit dem Trokar auf Fuchs einzustechen, gab ihm Kraft.
Zweiter Stoß. Verrecke, du Hurensohn.
Dritter Stoß. Warte, bis wir draußen sind!
Vierter Stoß. Du wirst dir wünschen, deine Mutter hätte dich nie
Weitere Kostenlose Bücher