Rattentanz
Er zog mit einer Hand seine Waffe und entsicherte sie. Mit der anderen schob er den Wagen zur Seite. Kein Geräusch drang aus dem Gefängnis, nichts, was auf die Anwesenheit der drei Männer hindeutete. War ihnen inzwischen doch die Flucht gelungen? Waren sie bereits tot?
Leise, ganz vorsichtig, drehte Eva den Türriegel auf. Die Pistole im Anschlag stand Joachim Beck schussbereit zwei Schritt entfernt und zielte auf die Tür. Gleich würde sie auf sein Zeichen hin die Tür aufreißen und zur Seite springen. Er hielt drei Finger in die Luft und klappte einen nach dem anderen langsam ein: drei-zwei-eins!
Hermann Fuchs lag rechts in der einzigen sauberen Ecke des Operationssaales. Die sinkende Sonne hatte sich ein wenig zurückgezogen, dabei aber eine unerträgliche Schwüle im Raum zurückgelassen. Vor einer halben Stunde hatte Fuchs den letzten lauwarmen Schluck Kochsalzlösung getrunken. Mehmet lag der Tür gegenüber vor dem Regal, beide Hände um den Trokar in seiner Brust geschlungen. Seine toten Augen starrten durchs Deckenfenster. Zwischen ihm und der Tür stand der Operationstisch, schräg davor die Leiche des letzten Ope rierten. Daniel Ritter lag in der Fuchs gegenüberliegenden Ecke. Er hatte seit der Sache mit dem Bengel kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben, nicht einmal, als Fuchs ihm vor einer halben Stunde die schwere Goldkette vom Hals und die leise tickende Armbanduhr vom Handgelenk genommen hatte. Lebte er noch? War er bereits seinem kleinen Türkenfreund in die ewigen Jagdgründe gefolgt? Wen interessiert das schon, mich auf jeden Fall nicht, dachte Fuchs.
Fuchs hatte sich seinen Mantel unter den Kopf gelegt, eine Zigarette im Mundwinkel und Ritters Uhr am Arm. Er betrachtete das wertlose Bündel Euroscheine in seiner Hand. Das Leben kann schon ungerecht sein, dachte er. Endlich einmal war das Glück auf seiner Seite, endlich besaß er einen Haufen Geld und dann das hier.
Ein Geräusch hinter der Tür ließ ihn innehalten. Er setzte sich auf und blinzelte zu der Klinke. Während er noch überlegte, ob dieser Polizist, der sich offensichtlich ein Vergnügen daraus machte, hin und wieder vor der Tür zu erscheinen und ihn mit seiner Macht zu quälen, vielleicht noch einmal gekommen wäre, flog diese auf!
Der Polizist erschien fast augenblicklich im Eingang und fuchtelte wie ein Irrer mit seiner Pistole rum. Wie im Film, dachte Fuchs, dann hatte Beck ihn im Visier.
»Bleib liegen!«, brüllte Beck und kam einen Schritt näher. Die Waffe zielte auf Fuchs’ Kopf. Fuchs brach mitten im Aufstehen ab und ließ sich zurücksinken. »Bleib liegen und streck die Arme zur Seite!« Fuchs kam dem Befehl nach, das Geld weiter fest in der Hand. Sollte es doch einen Ausweg geben oder war dies jetzt das Ende, die Hinrichtung? Türkenbengel, ich komme! Aber so schnell wollte er nicht aufgeben! Und als er die Krankenschwester, jetzt in Zivil, eintreten sah, ihr Entsetzen erkannte und wie sie sich umblickte, da wusste er, dass noch nicht aller Tage Abend war.
»Endlich seid ihr da!«, begann Fuchs. Seine Stimme war mit Zucker angedickter Honig. »Die beiden hätten mich fast umgebracht!«
»Sei still!«, herrschte ihn Beck an und ging langsam um den Operationstisch herum zu Mehmet. Fuchs ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen. Er stieß den Jungen mit dem Fuß an. Mehmets Hände rutschten zur Seite und gaben den Trokar frei.
»Und was ist das?« Beck zeigte mit dem Kinn auf Mehmet. »Hat er sich vielleicht selbst das Leben genommen?«
Fuchs vergaß Becks Befehl und setzte sich auf.
»Hinlegen!«, brüllte Beck.
»Wir haben versucht, das Fenster da oben mit den Eisenspitzen aufzubekommen«, erklärte Fuchs. »Der Junge stand auf meiner Schulter. Das erste Ding ist stecken geblieben und als er mit dem zweiten ausholte, hat er das Gleichgewicht verloren. Er landete hier auf dem Tisch und ist genau auf die Spitze gefallen«, log Fuchs und versuchte, so mitfühlend wie möglich zu klingen.
»Und wer ist das?«
»Ein Patient«, antwortete Eva an Fuchs’ Stelle. Auf der Brust des Mannes klebten noch die EKG-Elektroden und um seinen nackten Arm lag eine Blutdruckmanschette. Aus seinem offenen Bauch stank es abscheulich.
»Was ist mit eurem Anführer?«
Fuchs zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Der liegt schon seit Stunden so da. Und als er das letzte Mal wach war, hat er nur noch Stuss geredet.«
Joachim Beck ging zu Fuchs zurück.
»Na wie wär’s«, flüsterte er, »soll ich dich jetzt
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