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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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hatten regeln können. Ab sofort gab es in diesem Landstrich keine ethnische Minderheit mehr.

51
    19:22 Uhr, Donaueschingen
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    Du musst mit ihnen gehen. Geh, lauf ihnen nach, egal wohin. Nur hier können wir nicht bleiben. Nummer eins sprach eindringlich.
    Thomas hatte Eva und Joachim Beck nur seinen Namen (ausschließlich seinen!) und die Straße verraten, in der seine Eltern lebten. Das kleine Einfamilienhaus lag auf dem Weg der beiden, am Ortsrand Donaueschingens, neben der Tankstelle.
    Was von der Tankstelle übrig war, erreichten sie fünfzig Minuten nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatten.
    Am Abend zuvor, dem ersten Tag der Katastrophe, hatte ein gutes Dutzend Personen gewaltsam die unterirdischen Tanklager aufgebrochen und damit begonnen, ihre Fahrzeuge auf recht unkonventionelle Art zu betanken. An Seilen und Ketten ließen sie Eimer hinab und füllten anschließend das Benzin in ihre Fahrzeuge oder in Kanister um. Zur Katastrophe kam es, als Leonhard Schiller den Halt verlor und in einer lustig schillernden Benzinlache ausrutschte. Dabei ließ er die Kette mit dem gefüllten Eimer am anderen Ende los. Der Eimer fiel in den Tank zurück, wobei die Kette über die eiserne Einfassung der Öffnung schrappte.
    Ein winziger Funken hatte genügt. Bereitwillig entzündete sich das Gemisch aus Luft und Benzingasen. Keiner der Benzindiebe überlebte das Inferno.
    Thomas’ Elternhaus hatte einmal unmittelbar neben dieser Tankstelle gestanden.
    Es ist verbrannt, jammerte Nummer drei, und wir waren nicht dabei. Huuuuhh, wir waren nicht drin.
    Thomas hatte vor den Trümmern gestanden – Eva wollte ihn trösten und Beck hatte ständig auf die Uhr gesehen und sie zum Weitergehen gedrängt. Thomas hatte auf ein Gefühl gewartet, auf Trauer oder Angst oder beides. Aber da waren nur Leere und Enttäuschung. Er hatte sich so auf sein Bett gefreut.
    Die Explosionen hatten das kleine Gebäude wie ein Kartenhaus fortgeblasen. In der der Druckwelle abgewandten Seite standen die Grundmauern noch etwa zwei Meter hoch, die anderen Mauern wa ren ebenerdig abgetragen. Was nach der Detonation noch übrig geblieben war, hatte der anschließende Feuersturm vernichtet. Und zwar gründlich, wie auch bei den anderen Häusern in unmittelbarer Nähe der Tanks, von denen keines besser aussah. Nach einigen wenigen kosmetischen Arbeiten hätte man das leergefegte Areal umgehend als Baugebiet ausweisen können.
    Thomas verfiel in eine Art Starre und Beck hatte die Frau, die ihn aus dem Aufzug befreit hatte, weggezogen und mit ihr geflüstert. Dann waren sie aufgebrochen, hatten ihre blauen Müllsäcke genommen, aus einem nahm die Frau Äpfel und ein halbes Brot und stopfte sie ihm in seine Aktentasche, und waren zusammen fortgegangen.
    Wenn wir hier stehen bleiben, gab Nummer zwei zu bedenken, wer den wir irgendwann sterben …
    Ja! Ja! Ja!
    … wenn wir weitergehen, sterben wir vielleicht auch. Allerdings könnte es auch sein, dass dies hier alles nur ein Trugbild ist. Vielleicht liegen wir noch immer in dem engen Aufzug und träumen. Oder wir liegen in unserem Bett und träumen, dass wir im Aufzug liegen und träumen. Wer weiß das schon. Bevor wir etwas unternehmen, müssen wir gründlich überlegen …
    Geh, Thomas.
    … nichts will überstürzt werden. Denn immerhin wäre es möglich, dass …
    Geh!
    Als Thomas sich langsam umdrehte, waren Eva und Beck nur noch winzige Figuren am Kreisverkehr Richtung Hüfingen.
    Wenn du jetzt nicht gehst, sind sie verschwunden und du bist allein! Thomas ging ihnen langsam nach. Er setzte einen Fuß vor den anderen – der Beginn einer Reise mit ungewissem Ziel und ebenso ungewissem Ausgang.

Zweites Buch
– Der Weg –
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    Der Weg (Althochdeutsch wec, verwandt mit bewegen) ist ein Streifen im Gelände zum Begehen oder Befahren, weniger ausgebaut als Naturweg und befestigt als Bauwerk. Die Benutzung eines Weges als Verkehrsweg erleichtert die Erreichbarkeit eines Ortes für Materialien und Personen.

    (Quelle: Wikipedia)

52
    24. Mai, 20:28 Uhr, Malmö, Südschweden
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    Der Mann lag am Morgen dieses 24. Mai einfach so am Strand. Mit dem Gesicht im Sand lag er dort, neben sich Jacke und einen kleinen Aktenkoffer. Wahrscheinlich, vermutete Hans Seger, der am Fenster seines Hotelzimmers stand, wahrscheinlich war der Mann in der vergangenen Nacht extra zum Sterben hierhergekommen, wollte mit seinem Anblick auch noch den letzten Funken Hoffnung aus Hans Segers Herz vertreiben.
    Oder war er gar

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