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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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klingt der Brief viel- leicht auch etwas komisch, aber da ich euch telefonisch nicht erreichen kann und auch keine Flugzeuge und Schiffe verkehren, weiß ich nicht, wann und ob wir uns wiedersehen! Nein: ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen! Dass wir uns wiedersehen, steht fest! Ich wollte dir nur noch sagen, bevor ich gleich versuche, etwas zu schlafen, wie lieb ich dich habe und dass ich dich so sehr vermisse, Lea und dass wir uns be- stimmt bald wiedersehen! Pass bitte auf Mama auf und sei lieb zu ihr. Machst du das? Und gib ihr einen dicken Kuss von mir!
    Ich hab dich lieb! Ganz sehr.
    Dein Papa

53
    20:44 Uhr, Hausen vor Wald
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    Eva Seger, Joachim Beck und Thomas Bachmann erreichten Hausen vor Wald kurz vor Sonnenuntergang. Ihren ursprünglichen Plan, Wellendingen noch an diesem Abend zu erreichen, hatten sie inzwischen aufgegeben. Nicht zu Unrecht gab Beck ihrem neuen Begleiter die Schuld an dieser Verzögerung. Zuerst Thomas’ Rettung aus dem Aufzug, dann sein langsamer Gang und schließlich die langen Minuten vor dem, was einmal sein Elternhaus gewesen war, hatten ordentlich Zeit gefressen. Das ist er, dachte Beck, ein Zeitfresser. Ein verrückter Zeitfresser.
    In Hausen vor Wald, so Eva, wohnte Luisa Singer, eine Kollegin aus dem Krankenhaus. Eva hoffte, dass Luisa sie eine Nacht bei sich aufnahm. Dann wären sie morgen, vielleicht schon gegen Mittag, endlich bei Lea!
    Nach Hüfingen hin wurde das Dorf von einer Bahnlinie abgeriegelt. Sie schützte mit ihrem Damm den kleinen Ort, nur von einer schmalen Unterführung für die Landstraße zwischen Hüfingen und Bonndorf unterbrochen. Als die drei näher kamen, sahen sie, dass ein wuchtiger Anhänger die Unterführung blockierte. Die Dorfbewohner hatten ihn nach den Erfahrungen der vergangenen Nacht so postiert, dass kein Fahrzeug mehr in den Ort kam. Auf dem Brückenbogen standen zwei bewaffnete Männer.
    »Was wollt ihr?«, fragte einer der beiden von oben herab. Misstrauisch musterte er Eva, vor allem aber Joachim Beck. In der vergangenen Nacht hatte es im Ort eine Entführung gegeben, ein junges Mädchen. Außerdem war da noch ein Einbruch, bei dem der Bestohlene nur mit knapper Not entkommen konnte.
    »Wir wollen zu Luisa Singer«, sagte Eva.
    »Und wo soll sie wohnen?«, fragte einer der Männer.
    »Im Pfarrhaus«, antwortete Eva.
    Offenbar war das die richtige Antwort. Die Männer flüsterten miteinander, dann kletterte einer von ihnen von seinem Posten. Er kam zu ihnen und stieß mit der Fußspitze gegen Evas Plastiksack.
    »Was habt ihr in den Tüten?«, wollte er wissen. »Waffen?«
    »Blödsinn!«, antwortete Beck. Eva funkelte ihn an. Sie hatten, kurz bevor sie den Ortsrand erreichten, abgemacht, dass Beck seiner Begleiterin das Reden überlassen sollte.
    »Natürlich haben wir keine Waffen«, sagte Eva mit honigsüßer Stimme. »Nur ein paar Lebensmittel und Medikamente. Wir wollen eigentlich nach Wellendingen, hatten aber Probleme unterwegs.«
    »Wer hat die zurzeit nicht«, sagte der Mann. Dann stieß er erneut gegen den Sack. »Medikamente und Lebensmittel«, sagte er, dehnte dabei die Worte wie ein Gummiband und überlegte.
    Die Männer nahmen schließlich einen Teil der Medikamente, als Wegzoll sozusagen. Beck wollte schon diskutieren, aber Eva griff in ihren Vorrat und gab den Männern, was diese wollten. Die Alternative wäre ein kilometerweiter Umweg und eine Nacht im Freien gewesen.
    Luisa Singer wohnte im alten Pfarrhaus und sie war zu Hause. Und sie öffnete ihnen die Tür, was in einer Zeit wie dieser keine Selbstver ständlichkeit mehr war. »Ihr könnt die Wohnung behalten, wenn ihr wollt«, sagte Luisa und stürmte durch ihre Küche. Sie war am Packen. Auf dem Boden lagen zwei Koffer. Luisa schloss einen von ihnen und winkte Beck zu sich heran. »Setzen Sie sich mal drauf«, bat sie. Beck setz te sich, aber erst als Eva dazukam, schafften sie es, den Koffer zu verschließen. »Ich verschwinde!«, sagte Luisa. »Ich bleibe keine Nacht länger!«
    »Willst du jetzt noch gehen? Die Sonne geht gerade unter«, warnte Eva.
    »Mir egal«, antwortete Luisa, nahm ihre Koffer und ging zur Tür. »Ihr könnt bleiben, solange ihr wollt. Im Kühlschrank steht noch was zu essen. Mineralwasser ist im Abstellraum. Na, ihr werdet euch schon zurechtfinden.« Dann ging sie, ohne Gruß und ohne verraten zu haben, was sie zu ihrer Flucht bewogen hatte. Das Letzte, was sie von Luisa Singer sahen, war ihr Kleinwagen als sie den Hof

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