Rattentanz
die Dunkelheit. Der einzige Wermutstropfen an seiner Glückssträhne war, dass seine zwanzigtausend Euro im Moment die Taschen eines anderen füllten. Aber Fuchs war entschlossen, diesen kleinen Makel beim Zusammenbau seines neuen Lebens zu beheben. Es waren andere Zeiten angebrochen, Zeiten, die ihm jetzt endlich das Leben ermöglichen konnten, welches er verdiente. Bisher war immer jemand in seiner Nähe gewesen, der ihm, beim ersten Versuch auf eigenen Beinen zu stehen, in den Rücken gefallen war. Damals zum Beispiel, vor sechs Jahren, als er das letzte Mal versucht hatte, Mitglied der sogenannten normalen Gesellschaft zu werden. Das Sozialamt hatte ihm eine winzige, möblierte Einzimmerwohnung zur Verfügung gestellt. Und einen Termin in der Personalabteilung einer Brauerei vereinbart. Dort suchten sie Lagerarbeiter und er bekam den Job.
Als er dann aber die angeblich dem Sozialamt gehörende Einrichtung seiner Wohnung verkaufte (wozu brauchte er Kleiderschrank, Waschmaschine und Kühlschrank?) und außerdem einige Kisten Bier hinter der Lagerhalle deponierte, um sie nachts abzuholen und zum halben Preis zu verkaufen, fühlten sich plötzlich alle auf die Füße getreten. Dabei hätte er sich mit dem Geld, das er aus seinem Möbel-und Bierverkauf schon fest eingeplant hatte, die lang ersehnte eigene Existenz aufbauen können! Er hatte das Geld gewinnbringend im Aktiengeschäft anlegen wollen und, so wie die Kurse damals gerade am Neuen Markt in die Höhe geschossen waren, hätte dies auch geklappt! Nur die Typen vom Sozialamt und aus der Brauerei hatten wieder etwas dagegen. Dabei war es doch nicht einmal ihr eigenes Geld! Es war doch immer das Gleiche: ihn wollte man am Boden sehen, im Dreck kriechend zwischen Ratten und Ungeziefer. Denn so hatte man immer jemanden, auf den man einprügeln konnte. Das schlechte, warnende Beispiel, welches Eltern im Vorübergehen ihren Kindern zeigen und sagen: »Das wird aus dir, wenn du nicht ordentlich lernst.« Und dir nicht die Zähne putzt und zu spät ins Bett gehst und deine Oma weiter bestiehlst und heimlich die Pornohefte deines Vaters ansiehst und und und.
Aber damit war jetzt Schluss! Ein für alle Mal.
Fuchs warf die leere Flasche zu Boden. Sie rollte über den Holzboden. Er stand auf und strich seine neuen Kleider glatt. Dann nahm er eine Umhängetasche, die im Flur an der Garderobe hing und füllte sie mit dem angeschnittenen Schinken, der köstliches Buchenholzaroma verströmte, einem Stück Käse, dem alternden Brot und zwei Flaschen Bier. In einer Tasse im Küchenschrank fand er sechsundvierzig Euro, im Kleiderschrank, versteckt in einem alten Strumpf, weitere zweihundert.
Sichtlich zufrieden verließ er das Haus und schlich zurück in sein Versteck. Er hatte noch ein paar Stunden Zeit, vor Sonnenaufgang würden die drei bestimmt nicht aufbrechen. Er breitete eine Decke auf dem Waldboden aus und kuschelte sich in seinen Mantel. Die neuen Kleider rochen frisch nach Weichspüler und Frühling und der Pullover wärmte angenehm. Er drückte die Umhängetasche an seine Brust und schlief Sekunden später ein. Er war zufrieden. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden, sogar für einen dreiundfünfzigjährigen Ausgestoßenen wie ihn. Bestimmt.
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25. Mai, 08:02 Uhr, Hausen vor Wald
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Eva und die beiden Männer verließen das ehemalige Pfarrhaus. In einen alten Handwagen, den sie hinter dem Haus gefunden hatten, packten sie die beiden Säcke mit den Lebensmitteln und Medikamenten. Beck durchsuchte die Wohnung, aber außer ein paar Feuerzeugen, einer Packung Streichhölzer, einer Wanderkarte Südschwarzwald und zwei Taschenmessern fand er nicht viel Brauchbares. Eva packte noch drei Plastikbecher und Luisas letzte Flasche Mineralwasser dazu. Zusammen mit drei Decken schnürte Beck alles auf dem Handwagen fest.
»Wozu die Decken?«, fragte Eva. »Heute Nachmittag sind wir längst bei mir zu Hause.«
»Haben wir gestern auch schon gedacht«, antwortete Beck. »Man weiß nie.«
Als sie die Wohnung verließen, standen auf der gegenüberliegenden Straßenseite acht Männer und Frauen und beobachteten die Frem den. Evas Gruß erwiderten sie nicht.
Beck trug seine Dienstpistole hinten im Gürtel. Evas Vorschlag, sie in ein Handtuch einzuwickeln und unter ihrem Gepäck zu verstecken, lehnte er ab. »Wer weiß, auf wen wir noch alles treffen, bis wir endlich am Ziel sind.« Nach dem, was er in Donaueschingen erlebt hatte, war er nicht bereit, die Waffe, die
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