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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Trelleborgs – zwei einsame Fischerhütten, Wochenend-oder Ferienhäuser, wahllos in sicherer Entfernung zum Meer in die Dünen geworfen. Ein rotes und ein blau es Holzhaus, mit kleinen Veranden und Bänken darauf – einem Hochglanzprospekt entliehen.
    Hans Seger vergewisserte sich, dass er allein war, dann ging er zum ersten der beiden Gebäude. Die sperrigen Fensterläden waren verschlossen. Nichts deutete auf Bewohner hin, kein Hund bellte. Stille. Ebenso am zweiten Haus. Beide Häuser standen leer und warteten auf Urlauber, die nicht mehr kamen. Vielleicht niemals wieder kommen würden. Keine Männerrunde, die hier ihre Kegelkasse an einem bestimmten Wochenende im Jahr auf den Kopf stellt und dazu grölt, keine Familienidylle mit im Sand spielenden Kindern und dem Vater stolz neben einer überdimensionalen Sandburg. Keine Angeln am Abend an die Veranda gelehnt, während im Innern der Hütte der frische Fang in Butter garte, keine Koffer, die jemand aus-und wieder ein packte.
    Ohne etwas Brauchbares gefunden zu haben, hatte Hans gerade die zweite Hütte umrundet, als ihm, versteckt zwischen überhängenden Büschen, eine glänzende Plane auffiel, dunkelgrau, mit Metallösen an den Seiten, durch die ein fingerdickes Seil verlief, mit einem straffen Knoten am Ende. Eine Plane, mit der man etwas Großes abdecken konnte, etwas, das geschützt werden musste, vor Wind und Wetter, vor Dieben. Ein Auto vielleicht. Oder – Hans spürte die Aufregung in seinen Ohren klopfen – ein Boot! Er warf noch einen Blick hinunter zum Strand und zwischen die Hütten, dann bog er die überhängenden Zweige des Busches zur Seite.
    Da stand etwas wirklich Großes! Mindestens eine Limousine, den Abmessungen und Formen nach zu urteilen, die die Plane verbeulten als hätte sie Blähungen. Er bückte sich und löste den Knoten, dann zog er die Plane herunter.
    Es war ein Boot!
    Es lag unter den überhängenden Zweigen des Busches, friedlich, als habe es nur auf Hans Seger gewartet, als hätte es lange Zeit gehofft, dass er es finde und endlich zu Wasser lasse. Langsam ging Hans heran und betrachtete das Gefährt. Er kannte sich mit Schiffen nicht aus − wie auch, wenn man zwischen den Bergen und Wäldern in Süddeutschland aufgewachsen ist −, aber er sah augenblicklich ein, dass dies hier nicht das war, wonach er suchte. Seine anfängliche Freude wandelte sich in Ernüchterung. Dieser Kahn hier war einfach zu groß! Was sich da in den Büschen versteckte, konnte es locker mit einem ausgewachsenen Kleinbus aufnehmen. Mindestens. Fünf Meter, schätz te er, und fast zwei Meter breit. Am Heck ein eingeklappter, verrosteter Außenbordmotor und im Innern des Schiffes zwei lange Ruder, so lag es mit dem Kiel auf mehreren Holzklötzen. Wie sollte er (allein) dieses Ungetüm die zwanzig Meter zum Wasser bewegen? Und selbst wenn ihm dieses Wunder gelänge, könnte er damit (allein) einhundert Kilometer nach Süden rudern? Gab es Strömungen in der Ostsee und, wenn ja, wie stark waren diese und wo würden sie ihn hintreiben? Hinauf ins Baltikum oder zurück in den Öresund?
    Er schüttelte den Kopf und setzte sich auf die Verandastufen. Er betrachtete seinen Fund. Nein, dies war eine Nummer zu groß für einen einzelnen Mann. Dies war nicht sein Boot! Mit zwei oder drei Helfern vielleicht, aber ganz allein? Hans Seger betrachtete nacheinander das Boot, die Entfernung bis zum Wasser und die Ostsee. Hilfe, überlegte er. Hilfe gab es höchstens in Trelleborg, wenn überhaupt. Dort, am Fährhafen, warteten vielleicht noch einige Unentwegte, die ebenfalls über die Ostsee wollten.
    Er wollte schon wieder gehen, als sein Blick auf einen Stapel Holz fiel. Neben einer der Hütten lagerten lange, armdicke Rollen, jede mindestens zwei Meter lang.
    Wieder schätzte er die Entfernung zum Wasser und den leicht abschüssigen Weg dahin. Mit diesen Rollen könnte es gehen. Zwanzig Meter, zweiundzwanzig vielleicht, mehr nicht.
    Wenn ich einige der Rollen unter das Boot lege und dann die seitlichen Klötze, die das Schiff noch halten, wegschlage, überlegte Hans, könnte ich das Schiff mit etwas Glück auch allein bis ins Wasser bringen!
    Plötzlich schien ihm die Aussicht auf Hilfe schon nicht mehr so verlockend wie noch vor wenigen Minuten. Plötzlich sah er nicht mehr freundliche, hilfsbereite Menschen, die mit ihm den weiten Weg über das Wasser anpacken wollten, sondern potenzielle Gegner. Was wäre, wenn sie ihm zwar helfen, ihn dann aber am Strand

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