Rattentanz
wurde sein Arm schwer und mit dem Gefühl, sich schrecklich blöd aufzuführen, stellte er die Flasche schließ lich ab, erhob sich und nahm die Konserven vom Geländer. Dabei ließ er seine Umgebung nicht länger als eine Sekunde unbeobachtet. Er versuchte, sich so normal und selbstverständlich zu geben, wie es eben ging, schlenderte betont natürlich und ohne Hast zum Boot. Er versuchte sogar ein Lächeln. Äußerlich ruhig, verstaute er die Konserven in seinem Stoffbeutel und tastete dabei nach Nils Svenssons Messer. Er klappte es noch im Beutel auseinander, versteckte es in seiner Hand und richtete sich auf.
Nun fühlte er sich besser. Bereit zu einer Konfrontation, wenn es denn sein musste.
Er ging auf den verdächtigen Busch zu. Hier, zwischen dessen Blättern, hatte er das Gesicht gesehen. Oder meinte, es gesehen zu haben. Zweifel?
»Sie können ruhig rauskommen«, sagte er. Er wollte selbstsicher klingen. Seine Stimme sollte Selbstbewusstsein vermitteln und Stärke. »Ich werde Ihnen nichts tun, wenn Sie rauskommen!« Und was werde ich mit ihm machen, wenn er nicht kommt? Rauszerren und zerfleischen?
Alles blieb ruhig, kein Blatt bewegte sich, kein noch so kleiner Ast. Als seine Stimme zu hören war, stockte über ihm eine Amsel kurz in ihrem Liebeswerben. Dann begann sie mit nur noch mehr Enthusiasmus ihr Lied von vorn. Im seichten Wasser stritten drei Möwen um ei ne Muschel. Der Busch vor Hans aber, der stand einfach so da, ein Busch eben, weiter nichts. Nur langsam ließ die Anspannung nach. Vielleicht war es doch nur eine Spiegelung auf einem der glatten Blätter, überlegte Hans. Zweifel. Oder war es ein Tier? Das Messer in der Hand, drückte er die Zweige zur Seite. Aber wie nicht anders zu erwarten lauerte dort nur Leere. Und ein zweiter Busch ein paar Meter weiter.
Erleichtert und mit einem Kopfschütteln ließ Hans die Zweige los und ging zurück zum Boot. Es war bereits kurz nach neun und wenn er sein selbst gestecktes Ziel, heute Abend außer Sichtweite der schwedischen Küste in seinem Boot einzuschlafen, erreichen wollte, musste er sich langsam beeilen. Nicht nur, dass das Boot noch darauf wartete, ins Wasser gebracht zu werden, er selbst würde noch einmal zu dem kleinen Bach zurückmüssen, um seine Flasche und einen in der Hütte gefundenen Kanister mit frischem Trinkwasser zu füllen. Besser wä ren zwei Kanister oder drei.
Er verscheuchte das Hirngespinst aus dem Gebüsch und versuchte sich erneut auf das Bremsproblem zu konzentrieren. Ein Prellbock musste her. Ein kleiner, leicht auf-und abzubauender Prellbock, der das Boot rechtzeitig aufhalten konnte. Er sah sich um und entdeckte, jetzt da er wusste, wonach er suchte, recht schnell seinen Stein der Wei sen: einen neben der Hütte auf seine Entdeckung wartenden Hack klotz.
»Genau dich habe ich gesucht!«, murmelte er vor sich hin. Wie offensichtlich die Dinge oft sind. Als ob sie nur dastehen und darauf warten, dass irgendein blindes Huhn sie endlich findet.
Hans warf den Hackklotz, der wuchtige, verwitterte Abschnitt eines mächtigen Baumstammes, um und rollte ihn ans Ende seiner »Bahnstrecke«. Dort legte er ihn quer, sodass das Boot, wenn es auf ihn träfe, nicht brutal aufgehalten, und dabei vielleicht beschädigt, sondern vom Hindernis emporgehoben und ausgebremst werden würde. Hoffte er. Anschließend kümmerte er sich um die sechs Pflöcke, die wer weiß wie lang schon das Gefährt an seinem Platz hielten.
Von Anfang an hatte er geplant, nur die Pflöcke auf der rechten Seite herauszuschlagen, weshalb er die Rollen auch nicht mittig zum Kiel, sondern ein wenig in diese Richtung ausgelegt hatte. Das Boot sollte auf die Seite fallen. Dann noch ein kleiner Schubs und den Rest des Weges ging es hoffentlich von allein.
Hans nahm die letzte noch verbliebene zwei Meter lange Stange und hebelte damit einen Pflock nach dem anderen aus dem Boden. Wie erwartet, legte sich das Boot auf die Seite, auf seinen ehemals weißen Rumpf. Wie Schuppen bröselten die letzten Farbreste ins trockene Gras und als es so vor ihm lag, bereit, die Reise ins Meer anzutreten, schien es Hans fast ein Sakrileg, das Boot von seinem Platz zu entfernen. Wer weiß, wie viele Jahre es schon hier gestanden und Wind und Wetter getrotzt hatte. Die Sonne hatte seine Haut, selbst durch den Schutz der Plane hindurch, ausgetrocknet und die dünne Farbschicht entfernt. Nur kleine rote Reste erinnerten an den verblichenen Glanz der Reling, eine einzelne Drei am
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