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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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einigen Minuten gefolgt waren. Einer von ihnen, seinem Auftreten nach der Anführer, trug eine speckige Latzhose, darunter war er augenscheinlich nackt. Um den Bauch hatte er einen breiten Gürtel, in dem mehrere Messer steckten. Er war unrasiert, mit einer frischen Nar be auf der Wange. Die beiden anderen rahmten ihn ein – eine Leib garde mit dümmlichem Grinsen im Gesicht. Alle drei trugen Knüp pel über den Schultern, lange Stöcke mit Ketten am einen Ende.
    Patryk versuchte Zuzanna, Karol und Alicja vom Umweg über die Öresundbrücke zu überzeugen.
    »Wir brauchen kein Boot«, sagte er. »Wir sind nicht auf fremde Hil fe angewiesen, wenn wir über die Brücke gehen. Klar, drüben in Dä nemark könnte es unangenehm werden, wenn wir durch den Tunnel müssen. Aber was soll’s. Irgendwie müssen wir wieder heim, die werden sich Sorgen machen.«
    »Ich geh durch keinen Tunnel!« Zuzanna, die nicht nur im Dunkeln Herzklopfen und Schweißausbrüche bekam, sondern ebenfalls unter einer ärztlich attestierten Klaustrophobie litt, starrte Patryk an. Ihre Pupillen waren von der Vorstellung geweitet, zu Fuß in einer lichtlosen Röhre unter dem Meeresspiegel unterwegs zu sein. »Nein, nein! Ein Schiff ist das Höchste der Gefühle. Die Fähre war schon eng, aber da konnte ich wenigstens an Deck sein.«
    »Wir könnten es doch wenigstens versuchen.« Patryk wusste, dass er gegen seine Freundin keine Chance hatte, wollte diesen seiner Meinung nach rettenden Ausweg aber nicht so einfach wegklaustrophobieren lassen. Er liebte Zuzanna, er konnte sich sogar vorstellen, mit ihr zusammenzubleiben, vielleicht irgendwann einmal Kinder zu ha ben. Wenn nur ihre schrecklichen Phobien nicht wären! Seit drei Tagen hatten sie keine Gelegenheit mehr gefunden, sich zu lieben. Für ihn waren drei Tage eine Ewigkeit, vor allem mit Zuzanna in der Nähe. Sie lief zwei Schritte vor ihm, in abgeschnittenen Jeans und einem ärmellosen Shirt. Und sie trug nur dieses Shirt, darunter war nichts – für Patryk eine ständige Verlockung. Sie war schön, selbst mit dem un förmigen Rucksack auf dem schmalen Rücken. Er verdeckte ihre Schultern und die schmale Taille, aber nicht, was ein Stück tiefer kam. Sie hatte ihre Jeans dermaßen knapp abgeschnitten, dass sie schon fast an einen Slip erinnerte. So viel von dem, was sie verbergen sollten, war sichtbar. Wundervoll!
    »Gib’s auf, Patryk«, sagte sie ohne sich umzudrehen. Er wusste, dass jedes weitere Wort von ihm sinnlos wäre. Sie hatte entschieden, was ihr natürlich auch zustand. Schließlich besaß sie besagte Phobie. Und sie war seine Freundin. Und sie war schön!
    Wortlos gingen die vier weiter. Sie schwitzten und hatten Durst.
    »Ihr versteht das doch?« Zuzanna tat es leid, dass sie den anderen den Ausweg über die Öresundbrücke und den anschließenden Tunnel vermasselte. Aber es ging nicht, sie konnte einfach nicht über ihren Schatten springen. Natürlich, sie könnte es wenigstens versuchen – aber wozu? Sie wusste, am Eingang der finsteren Röhre würde sie erstarren. Wenn sie einen guten Tag hätte. Erstarren, oder aber, an schlech ten Tagen, schreien und um sich schlagen. »Ihr versteht das. Oder?« Sie war stehen geblieben und drehte sich zu ihren Freunden um. Es tat ihr ehrlich leid.
    »Ist schon gut«, sagte Patryk. »Wenn du nicht ka …« Er brach mitten im Satz ab. Zuzanna war plötzlich weiß wie ein Bettlaken vor der Hochzeitsnacht. In ihren Augen leuchtete Angst.
    Alle drei blieben stehen und einer nach dem anderen folgte Zuzan nas Blick an ihnen vorbei. Etwas war hinter ihnen.
    Ihre Verfolger nahmen bei ihrer Entdeckung wie abgesprochen die Knüppel von den Schultern. Die Ketten daran klirrten. Ihr Anführer baute sich vor Karol auf, die beiden anderen gingen weiter, einer rechts, der andere links um die kleine Gruppe herum. Mit kaum verhohlener Gier starrten sie auf die beiden Mädchen.
    Der Anführer sagte etwas auf Schwedisch, Patryk antwortete in seiner Muttersprache.
    »Polska.« Karol deutete zuerst auf seine Freunde, dann über die Ostsee. »Polska.«
    »Aaah. Polska.« Der Chef hatte verstanden. Er versuchte ein Lächeln. Eine Grimasse, die nicht zum Ausdruck seiner kleinen Schweins äuglein passen wollte. Seine Freunde lachten.
    Alicja, Zuzanna, Karol und Patryk rückten enger zusammen. Ihre Rucksäcke berührten sich. Sie waren wehrlos. Obwohl sie zugesehen hatten, wie Trelleborg im Chaos versunken war, wie der Stärkere die Stelle von Gesetz und Polizei

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