Rattentanz
Bug an eine Registriernummer. Gehörte das Boot nicht hierher?, fragte sich Hans. Bäu me und Sträucher waren artig um es herumgewachsen. Sein Fehlen würde ein Loch hinterlassen.
»Blödsinn!« Mit einem letzten Akt der Anstrengung setzte er den Hebel am hinteren Teil des Bootes an und gab ihm so den entscheidenden Impuls.
Es setzte sich in Bewegung. Wie erwartet, rutschte es über die Rollen, die sich unter ihm drehten, seiner wahren Bestimmung entgegen. Hans war stolz, betrachtete sein Werk und ging langsam neben dem Boot her, die Hand am Kiel. Auf halbem Weg kam es plötzlich vom Kurs ab. Es rutschte immer weiter zur Seite. Hans stemmte sich gegen den Kiel und versuchte, es ein Stück zurückzuschieben. Aber so sehr er sich auch anstrengte, reichten seine Kräfte im Kampf gegen den Ko loss nicht aus. Das Boot behielt seinen einmal eingeschlagenen Abweg bei. Vier, höchstens noch fünf Rollen und der Kahn würde von seinem Gleis springen.
In letzter Sekunde gab Hans seine Bemühungen auf und rannte vor das Ungetüm. Er bückte sich und zerrte eine Stange nach der anderen zur Seite. Er verlegte das Gleisbett neu, in seinem unteren Teil fast einen Meter neben dem ursprünglichen Weg.
Zu spät erkannte Hans, dass das Boot nun den Holzklotz, der es abbremsen sollte, deutlich verfehlen musste. Dies zu korrigieren fehlte die Zeit. Mit letzter Anstrengung zerrte er gerade noch die fehlenden drei Rollen an ihren neuen Platz, das Boot schoss heran, streifte den Bremsklotz mit seiner Reling und Holz splitterte. Mit einem weiten Satz verließ Hans Segers Boot die letzte Rolle.
Hans rannte hinter dem Boot her. Er stemmte sich gegen das Heck, versuchte den Schwung, mit dem es vom Ende des Gleises schoss, auszunutzen. Jeder Meter war jetzt wichtig, jeder Zentimeter. Rutsche, du verdammtes Ding! Mach, dass du ins Wasser kommst!
Sand knirschte und bremste die Fahrt. Das Boot wurde langsamer und langsamer, egal wie Hans sich auch gegen Boot und Erkenntnis stemmen mochte. Alle Hoffnung, Schweden bald verlassen zu können, blieb schließlich nur zwei Meter vom rettenden Ufer entfernt im Sand stecken.
»Der Idiot hat alles versaut!« Nur zwei Minuten nach Hans Segers Scheitern stürzte Karol auf die kleine Lichtung. Als Zuzanna, Alicja und Patryk etwas durch die Büsche kommen hörten, griffen sie automatisch nach ihren Knüppeln. Keiner von ihnen wollte sie noch einmal einsetzen. Aber sie waren dazu bereit, wenn es denn sein musste.
Die vier, alle Mitte zwanzig, waren vor zehn Tagen aus Polen über die Ostsee gekommen. Eine Woche Urlaub! Raus aus Warschau, die Jobs für ein paar Tage vergessen, angeln, baden, leben.
»Hat er dich gesehen?« Alicja, sie hatte Hans Seger entdeckt, war die Aufregung anzusehen.
»Nein. Aber er hat das Boot in den Sand gesetzt! Allein bekommt er es niemals ins Wasser.«
Nach dem Stromausfall waren sie nach Trelleborg aufgebrochen. Sie hofften auf eine Fähre zurück in die Heimat. Aber als sie die Stadt erreichten, war es bereits zu spät. Die Fähren, ihrer Computersteuerung beraubt, lagen manövrierunfähig im Hafen oder trieben steuerlos über die Ostsee. Mannschaften hatten sich zu ihren Familien abge setzt und auch in der beschaulichen Kleinstadt herrschten bald Cha os und Anarchie. Fischern nahm man ihre Kutter weg oder zwang sie zu einer unbezahlten Überfahrt, solange noch Treibstoff in ihren Tanks war. Die vier Freunde versteckten sich tagelang in Trelleborg, bevor sie die Aussichtslosigkeit ihres Wartens einsahen. Sie brachen auf und hofften, in einem der kleinen Fischerdörfer ein Boot zu finden. Um ein Haar wäre ihre Heimreise bereits am Ortsrand Trelleborgs zu Ende gewesen. Es war gestern Nachmittag gewesen, Hitze flimmerte über der Stadt und die vier verstrickten sich immer tiefer in ei ne leidenschaftliche Diskussion über den Grund der Katastrophe. Keiner wusste das Warum, aber jeder hatte so seine Erklärungen. Jeder seinen vollgestopften Rucksack auf dem Rücken, wanderten sie durch das Ha fenviertel nach Westen. Vielleicht sollten sie es über den Öresund versuchen? Patryk schreckte als Einzigen der Umweg über Dänemark und Norddeutschland nicht, die anderen drei schon. Sie würden Tage, wenn nicht Wochen verlieren! Außerdem hatten sie kaum noch etwas zu essen, alle Geschäfte Trelleborgs waren geplündert und die Menschen, auf die sie unterwegs trafen, von einer seltsamen Feind seligkeit. So ins Gespräch vertieft, bemerkten sie die drei Männer nicht, die ih nen seit
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