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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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offen?«
    »Natürlich.«
    »Und das Licht an?«
    »Lea, du weißt doch, das Licht funktioniert gerade nicht.«
    »Aber meine CD! Lass bitte Räuber Hotzenplotz laufen!«
    »Lea«, Eva kam zurück und setzte sich auf Leas Bett. »Der Strom ist weg«, Lea nickte, »und Wasser läuft auch nicht mehr.« Das wusste Lea und es machte ihr nicht viel aus. Im Gegenteil. Ohne Gesichtwaschen ins Bett zu gehen machte deutlich mehr Spaß.
    »Und das Telefon.«
    »Richtig Lea, das funktioniert immer noch nicht.« Eva legte sich ne ben sie und nahm ihre Tochter in den Arm. »Es ist zwar schön, wenn wir Strom haben und Wasser und Telefon, weil es dann immer ein bisschen hell bleibt, weil du deine Märchen anhören kannst und …«
    »Fernsehen!«
    »… und fernsehen kannst. Weil du mit Oma telefonieren kannst oder mit deinen Freunden.« Eva streichelte das Gesicht ihrer Tochter und sah zur Decke hinauf. »Aber jetzt machen Strom und Wasser und Telefon einfach mal Urlaub. Wie lange, das weiß niemand.«
    »Nicht einmal Gott?«
    »Doch, Gott weiß es bestimmt. Vielleicht hat Gott sogar selbst alles so gemacht, wer weiß das schon? Aber denk mal an Papa, Liebes. Papa ist jetzt ganz allein in einem fremden Land. Er macht sich bestimmt Sorgen um dich und mich und er möchte sicher nicht, dass du traurig bist. Schau mal, wir haben uns doch alle ganz fest lieb«, Lea nickte, »und so lange das so ist, so lange brauchen wir uns auch nicht vor der Dunkelheit zu fürchten. Denn Papa wird irgendwann zurückkommen.«
    »Und er macht dann das Licht wieder an!«
    »Bestimmt Liebling. Ganz bestimmt.«
    Eva erhob sich und ging zur Tür. »Schläfst du jetzt?« Lea versprach es. »Ich komme auch bald. Ich geh nur noch mal kurz zu Susanne.«
    Die Nacht drückte gleichmäßig an alle Scheiben des Hauses. Frieder Faust lag zusammengekrümmt im Wohnzimmer auf dem Boden. Den Teppich unter Faust hatte Susanne erst am Nachmittag ausgebürs tet. Sie hatte auch den Staub von der Schrankwand gewischt und dabei peinlich darauf geachtet, dass jede der vielen Figuren zurück auf ihren angestammten Platz kam. Alles hatte eine Ordnung, musste seine Ordnung haben, vor allem, wenn die Ordnung rundherum zusammenbrach wie ein viel zu hohes Kartenhaus. Deshalb putzte sie sich jede freie Minute durch ihr Haus. Reinigungsmittel gab es genug unten im Keller, sie besaß einen halben Schrank voll. Mittelchen für Glas und welche für Keramik. Mittel für das Cerankochfeld, inklusive eines speziellen Schabers, der innen an der Tür des Schrankes hing, und natürlich besondere Essenzen für die verschiedenen Hölzer der Möbel. Ordnung war das Geländer in den Wirren des Lebens, ein roter Faden, der Sicherheit gab und dafür sorgte, dass man sich an all den unübersichtlichen Biegungen des Lebens nicht verirrte. Sie hatte die Schrankwand geputzt, den Teppich gereinigt, die dunkle Front des Fern sehers entstaubt und natürlich die kleine Tiffanylampe daneben behutsam poliert und sich dabei sicher gefühlt. Alles war in Ordnung. Bis Frieder zurückkam. Er stolperte ins Haus, brabbelte wie ein seniler Greis vor sich hin, fuchtelte mit den Händen herum und wankte schließlich ins Wohnzimmer, wo er zusammenbrach.
    Susanne hatte sich auf die vorderste Kante des wuchtigen Sofas gesetzt. Dort blieb sie, wie ein Gast in einem fremden Raum, befangen und unsicher, was als Nächstes zu tun wäre. Bubi war bereits auf Streife und Eva mit Lea nebenan in ihrem Haus bei Eckard Assauer.
    Susanne saß seit zwei Stunden ohne sich zu bewegen auf der Sofa kante und beobachtete ihren Mann. Sie ließ ihn keinen Moment aus den Augen, bemerkte die Dämmerung nicht, die sich über Wellendin gen legte und später in Dunkelheit verlor. Sie ignorierte ihren Durst. Obwohl nur sieben Schritte entfernt eine Kanne mit frischem Wasser auf dem Küchentisch stand, blieb sie bei ihrem Mann. Ihr war schon seit Tagen seine Unruhe aufgefallen. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Früher konnte er stundenlang hinter dem Haus in der Sonne sitzen. Er konnte unbeweglich auf dem Sofa liegen und fernsehen. Er konnte geduldig winzige Teile reparieren. Aber seit ein paar Tagen trieb ihn etwas um. Er rannte am Morgen wie ein gehetztes Tier aus dem Haus. Er hatte jetzt schon die zweite Sitzung des Wellendinger Rates versäumt und Roland Basler hatte ausrichten lassen, dass es vielleicht bes ser wäre, wenn Faust seinen Platz im Rat für jemanden freimache, der auch Interesse an der Aufgabe hatte. Aber Susannes Mann hatte

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