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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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hierher zu klagen. Jetzt hielt die Frau nichts mehr in ihrem Versteck. Sie kletterte aus dem zerbeulten Autowrack. Eine Radkappe löste sich, fiel in die Tiefe und neben Seger in die Pfütze. Bevor der erfasste, was um ihn her geschah, glitt Silvia wie eine Katze über die ausrangierten Fahrzeuge. Schon war Silvia neben ihm, packte Segers Rucksack und verschwand in der Dunkelheit, bevor der Lichtkegel sie erreichte. Sie hörte Larissas Weinen, musste zu ih rem Kind, sofort. Seger hörte ihren Atem, hörte sie den Hang hinauf klettern. Losgetretener Kies und Schlamm rutschte nach unten, dann hatte sich ihr Schatten auch schon in der Nacht aufgelöst und mit ihm sein Rucksack.
    Wenig später erstarb das Schluchzen des Kindes.
    Aber Hans Seger blieb keine Zeit, über das Geschehene nachzudenken. Schon bildeten sich an Malows Mund kleine Bläschen beim Ausatmen. Es regnete weiter und das Wasser in der unbedeutenden Pfütze stieg und stieg immer noch weiter.
    Er hielt die Lampe in der Hand. Er betrachtete sie einen kurzen Moment, dann wusste er, was zu tun war. Er schlug den Griff der Lampe in den aufgeweichten Boden. Das war die Rettung. Wenn das jetzt nicht funktionierte, würde bald gar nichts mehr funktionieren.
    Seger musste sich weit um die eigene Achse drehen, um wieder und immer wieder Kies und Schlamm zur Seite zu schieben. Sein Bein klopfte und wehrte sich mit Schmerz gegen die Bewegungen. Aber gab es eine Alternative? Wieder und wieder stieß er die Lampe in den Boden und grub so nach und nach eine schmale Rinne von der Senke, in der er selbst lag, hin zu Malows Pfütze. Mit einem letzten gezielten Schlag öffnete er dessen nasses Grab und das Wasser ergoss sich das leichte Gefälle herunter zu Hans. Zufrieden beobachtete er das Sinken des Wasserspiegels um Malows Gesicht, schon verschwanden die Bläschen um dessen Mund. Sein Brustkorb hob und senkte sich weiter – ruhig und gleichmäßig, ohne Wissen um den nahen Tod.
    Seger sank in sich zusammen. Die unterdrückten Schmerzen waren zurück in seinem Bewusstsein und forderten ihr Recht. Alles wurde schwarz.
    Henning Malow erwachte fünfzehn Minuten später. Seine Nase blu tete und auf der Stirn hatte er ein paar kleine Kratzer, sonst war er unverletzt. Er hustete, sah sich um, dann hörte er Segers Stöhnen.
    »Was ist mit dir?« Sein Kopf dröhnte, als habe jemand neben ihm eine Rakete in die Luft gejagt.
    »Ich kann mich nicht bewegen. Unser Nachtquartier liegt auf meinem Bein.« Hans schaltete die Taschenlampe ein.
    »Mist, verdammter!«, fluchte Malow, als er Hans’ Bein und den Lkw sah. Aber, erkannte er, Hans hatte auch Glück gehabt. Die Kiste hätte Hans ebenso gut am Kopf treffen können. Oder auch ihn selbst. Dann lägen sie jetzt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag mit dem Gesicht im Schlamm. Mindestens.
    Malow packte Hans unter beiden Armen und Hans drückte mit dem unverletzten Bein gegen das Fahrzeug. Aber so sehr sich die Männer auch anstrengten, Hans’ Bein saß fest. Und er lag in einer großen Lache aus Regenwasser und Schlamm, die ihn langsam auskühlte.
    »Wie schlimm sind die Schmerzen?«
    »Reicht für zwei.« Hans versuchte ein Lächeln, welches der Regen sofort wieder von seinem Gesicht spülte. Er wusste nicht, was schlimmer war: der Schmerz seines gebrochenen Beines oder die Zukunftsaussichten, die zu dieser Tatsache gehörten. Wie sollte es weitergehen? Selbst wenn Malow ihn freibekommen sollte, wusste Hans, gab es kein Danach. Es gab keine Ärzte oder Krankenhäuser mehr, keinen Zug, der ihn nach Wellendingen bringen würde. Weit und breit niemand, den er kannte. Zu Hause, bei Eva und seinen Freunden im Dorf, wäre dies ein blöder Unfall, mehr nicht. Hier aber bedeutete ein gebrochenes Bein das Ende.
    Malow begann mit bloßen Händen den Schlamm rechts und links neben Hans’ Bein wegzukratzen. Er wollte es so weit unterhöhlen, dass er Hans herausziehen konnte. Aber es kam anders. Was wie tiefer Schlamm aussah, war nur wenige Zentimeter dick. Darunter fand er den harten Boden der Kiesgrube und dieser bestand aus kleinen und großen Gesteinsbrocken, festgefahren in Jahrzehnten und härter als Beton.
    Malows Fingerkuppen bluteten. Als ein Fingernagel abbrach, hielt ihn Hans zurück.
    »Lass gut sein«, sagte Hans. Nässe und Kälte hatten den Schmerz aus seinem Bein getrieben, aber auch das Gefühl aus seinem Rücken. Malow hatte mit seiner Aktion eine kleine Vertiefung geschaffen, in der sich das Regenwasser sammelte, während sich im

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