Rattentanz
Osten das Schwarz der Nacht in ein diffuses Grau verwandelte.
Malow ließ sich neben Hans in den Dreck fallen und reichte ihm einen Schluck Wasser.
»Und jetzt?« Malow starrte in den Morgen wie auf einen ungeliebten Besucher. »Scheißwetter.«
Hans betrachtete das Ungetüm, unter dem sein Bein begraben lag, dann seinen Begleiter. Malow war zwar nicht gerade in seinen besten Jahren, sah aber kräftig genug aus.
»Mit einem Hebel könnte es klappen«, sagte Hans.
»Natürlich! Ich brauche die Kiste ja nur ein paar Zentimeter anzuheben. Nur soviel, dass du rausrutschen kannst.« Er sah sich um, rann te um den Schrottberg herum und hatte nach wenigen Minuten ein geeignetes Werkzeug gefunden. Am Rand der Grube lagen auf mehreren Bergen die Einzelteile ausgeschlachteter Wagen. Ein Haufen mit Scheinwerfern, einer mit Türen und ein Berg Achsen. Sie erinnerten an ein Riesenmikado. Malow grub eine Handbreit neben Hans’ Bein ein kleines Loch unter das Fahrzeugdach und steckte die Achse hinein, dann stemmte er sich dagegen und versuchte, das Fahrzeug anzuheben.
»So wird das nichts«, meinte Hans. Der Lkw hatte sich kaum bewegt. »Wir brauchen etwas zum Unterlegen. Damit du die Achse wie einen Hebel nach unten drücken kannst.«
Diesmal musste Malow etwas länger suchen, aber schließlich kam er mit einem Stück Gusseisen zurück. Er legte es unter die Achse. Dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihr freies Ende. Und tatsächlich, ganz leicht hob sich das Fahrerhaus.
»Ja. Es klappt. Du schaffst es!«
Hans spürte, wie der auf seinem Bein lastende Druck langsam nachließ. Malow kämpfte, an seinen Schläfen erschienen dicke Adern und Millimeter um Millimeter schaffte er das Unmögliche. Hans versuch te, sein Bein herauszuziehen, feuerte Malow an und bemerkte nicht, dass sie vom Rand der Grube aus beobachtet wurden.
Plötzlich rutschte die Achse von ihrer Unterlage und der Lkw in sei ne alte Position. Hans schrie auf, dann wurde er ohnmächtig und klatschte wie ein nasser Sack nach hinten in die Pfütze. Silvia beobachtete, wie Malow Hans Seger schüttelte, ihm schließlich seine zusammengerollte Decke unter den Kopf legte und ihn mit einem Mantel zudeckte.
Dann setzte sich Malow neben Hans. Malow wirkte ratlos. Die gan ze Situation erinnerte ihn an Lena. So wie jetzt Hans, hatte auch Lena ohne ihn keine Überlebenschance gehabt. Sie hatte er verlassen. Jetzt war Hans auf ihn angewiesen. Malow war klar, dass es für einen einzelnen Mann unmöglich war, Hans zu befreien. Aber selbst, wenn dies gelingen sollte, was dann? Wer sollte das Bein versorgen? Es musste sicher geschient werden und er selbst kannte sich damit ungefähr ebenso gut aus wie mit Einsteins Relativitätstheorie. Er fühlte Hans’ Puls, dann zog er seinen Rucksack aus dem Schlamm und legte ihn auf eines der Fahrzeuge. Er sah sich um. Hier irgendwo musste auch der zweite Rucksack liegen. Er ging um den Lkw, sah in ihm nach, aber das Gepäckstück blieb wie vom Erdboden verschluckt. Und damit auch die Hälfte ihrer Vorräte.
Hans kam wieder zu sich. Er stöhnte. In seinem Bein hämmerte etwas.
»Wenigstens blutest du nicht«, sagte Malow. Er hatte das Wasser beobachtet, in dem das Bein lag und kein frisches Blut gefunden.
»Ist doch schon mal ein guter Anfang.«
»Anfang von was? Ich schaff es nicht, dich unter dem Ungetüm rauszuholen«, sagte Malow. Er klang mutlos.
Sie schwiegen einige Minuten, dann richtete sich Hans auf und fingerte sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er nahm seinen Ausweis und hielt ihn Malow hin.
»Was soll ich damit?«
»Meine Adresse. Auf der Rückseite steht meine Adresse. Geh zu Eva, meiner Frau, und erzähl ihr, was passiert ist und …«
»Ich glaube, du spinnst!« Malow sprang auf und warf Hans den Ausweis auf die Brust. »Deinen dämlichen Ausweis kannst du dir sonst wohin stecken! Denkst du, ich lass dich hier im Stich und in der Pfütze langsam verrecken?«
»Genau das würde ich an deiner Stelle machen«, log Hans. »Ich würde meinen Rucksack schnappen, dir viel Glück wünschen und schleunigst aus dem Loch rausklettern.« Hans wusste nicht, welche Wunde er soeben in seinem Begleiter aufriss. »Du musst an dich denken. Ich bin nur ein Klotz an deinem Bein und du kannst mir nicht helfen.«
Malow sprang zu Hans hin und packte ihn am Kragen. »Entweder du hältst jetzt die Klappe oder, oder …« Malows Augen funkelten und es war nicht zu übersehen, dass das nächste falsche Wort das Fass zum
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