Rattentanz
anderen unterstützt. Sichtlich unangenehm berührt erhob sich der Lehrer und schüttelte den Kopf.
»Ich werde es machen, wenn ihr es wollt und wenn wir keinen Besseren finden. Aber eigentlich möchte ich nicht. Ich kann gut mit Kindern umgehen, aber die Arbeit in unserem Rat«, er spielte mit einem Bierdeckel, »ich glaube, dazu bin ich nicht geschaffen.«
»Lydia, wie wär’s mit dir?«
Aber auch Lydia Albicker schüttelte den Kopf. »Ich hab genug mit meinen Tieren zu tun.«
Im Saal wurde es ruhig. Es hätte sicher noch eine Reihe geeigneter Kandidaten gegeben, aber jeder von ihnen, Bardo Schwab, Jürgen Mettmüller oder Anne Gehringer, wehrte ab. Durch die Arbeiten, die sie hier im Dorf übernommen hatten, durch die Sorgen um sich und ihre Familien, hatten sie weder Zeit noch Lust, im Rat mitzuarbeiten.
Auf diesen Moment der Stille hatte Roland Basler gewartet. Das war Frederikes Zeichen. Baslers Frau wollte soeben das verabredete Stichwort geben, als Berthold Winterhalder, der Wirt, auf den Tresen klopfte. Von den blauen Flecken in seinem Gesicht und am Hals, Folge des nächtlichen Überfalls auf seinen vollen Keller vor zwei Wochen, war kaum noch etwas zu sehen. Die Vorräte, die nach dem Einbruch noch übrig gewesen waren, hatten er und seine Frau in der Zwischen zeit selbst verbraucht, einen verschwindend kleinen Teil, vor allem leicht verderblicher Lebensmittel, der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Seit zwei Tagen lag ihm seine Frau in den Ohren. Edeltraud Winterhalder wollte nicht verhungern.
»Mich interessiert eigentlich nicht, ob ihr zu zweit, zu viert oder fünft abends bei Hildegund hockt. Mich interessiert auch nicht, was ihr da redet. Meine Frau und mich interessiert im Grunde nur, wie wir überleben können.«
Im Saal erhob sich Zustimmung, einige klatschten.
Uwe Sigg, früher arbeitslos, heute mit dem Leerpumpen der wenigen Heizöltanks beauftragt, strich sich die blonden Locken aus der Stirn und stand auf. Seine Frau Lisa versuchte, ihn zurückzuhalten. Er schüttelte ihren Arm ab.
»Ich will auch mal was sagen.«
»Dann mach doch«, kam es aus der Runde. »Beeil dich, zu Hause musst du wieder die Klappe halten.«
Gelächter.
Aber Sigg ließ sich nicht beirren. »Wir kümmern uns viel zu viel um die, die selbst nichts beisteuern.« Im Saal wurde es still. Sigg zögerte, bereute schon, aufgestanden zu sein. »Ich, also … ich finde, jeder sollte mitarbeiten und etwas beisteuern.«
»Und wer gehört deiner Meinung nach zu denen, um die wir uns zu sehr kümmern?« Sigg entging die Drohung in Bea Baumgärtners Stimme nicht, aber was soll’s, er hatte sich nun einmal bis hierher vor-gewagt, jetzt wollte er es auch zu Ende bringen. Er schielte zum Tisch, an dem Eckard Assauer neben dem Pfarrer und Susanne Faust saß.
»Aber ich kümmere mich doch um Frieder.« Susanne brach in Tränen aus. »Und ich halte das Haus sauber und ich …« Die Tränen erstickten ihre Stimme.
»Nein. Susanne, ich meinte nicht dich. Ich …« Der Schreck stand Uwe Sigg ins Gesicht geschrieben. Er mochte Faust, mit dem er manches Bier getrunken hatte, und er konnte auch dessen Frau ganz gut leiden. Im Gegensatz zu seiner Frau ließ Susanne einen Mann wenigstens noch ausreden. Er suchte nach Worten, um das Missverständ nis aufzuklären, aber bevor er die fand, hatte ihn Lisa schon auf seinen Platz zurückgezogen.
»Sei jetzt endlich still«, fauchte sie ihren Mann an. »Wenn du den Mund aufmachst, kommt nur Blödsinn raus!«
Dafür erhob sich nun Eckard Assauer. Er hatte Siggs Anspielung sehr wohl verstanden. Der Siebzigjährige, einziger Überlebender der Flugzeugkatastrophe vom Hardt, wusste, dass Siggs Worte durchaus berechtigt waren. Nach der Katastrophe und den Tagen seines Schockzustandes hatte sich vor allem Faust, später dann Eva Seger um ihn gekümmert. Jetzt, wo es ihm besser ging, fühlte er sich in erster Linie auch nur Faust und Eva und ihrer Kleinen verpflichtet. Er bewachte ihr Haus und kümmerte sich um den kleinen Garten dahinter, ab und zu ging er auch hinüber zu Albickers und half im Stall. Aber er war Wissenschaftler, Professor für mittelalterliche Geschichte und Freizeitarchäologe, und kein Bauer. Der ungewohnte Umgang mit Mistgabel und Schaufel hatte seine Hände mit Blasen übersät und sein Rücken schmerzte. Sigg hatte recht, Assauers Beitrag für die Dorfgemeinschaft war gleich null.
Er räusperte sich. Aber bevor er etwas sagen konnte, legte ihm Pfarrer Kühne die Hand
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