Rattentanz
auf die Schulter und stand selbst auf. Auf Baslers Stirn glänzten Schweißperlen. Die Versammlung drohte ihm zu entgleiten.
»Uwe?« Kühnes Augen funkelten. »Von was habt ihr beide, du und deine Frau, vor dem Stromausfall gelebt?«
»Aber das war doch etwas ganz anderes!«
»Etwas anderes? Soso. Ich verstehe zwar nicht, was daran anders war, aber du kannst es uns sicher allen erklären. Der einzige Unterschied, den ich sehe, ist der, dass du über Jahre arbeitslos warst und keinerlei Anstrengungen unternommen hast, wieder Arbeit zu finden. Was dir die Allgemeinheit an Arbeitslosenunterstützung gezahlt hat, habt ihr gern genommen und nebenher hast du noch schwarzgearbeitet.«
»Aber was kann ich denn dafür, dass ich meinen Job verloren habe? Und auf das Geld vom Arbeitsamt hatte ich einen Anspruch. Ich habe schließlich jahrelang eingezahlt!«
»Jeder hier weiß, dass du wegen Arbeitsbummelei entlassen wurdest. Herr Assauer kümmert sich wenigstens um Lea, während Eva in ihrer Praxis arbeitet. Wer im Glashaus sitzt, Uwe, der sollte lieber nicht mit Steinen herumspielen, sondern sich ganz still verhalten.«
Die Zustimmung, die Kühnes Worte fanden, ließen Uwe Sigg in sei nem Stuhl zusammenschrumpfen. Am liebsten wäre er aufgesprun gen und aus dem Gasthaus gerannt. Zu seinem Glück aber blieb niemandem viel Zeit, den Worten des Pfarrers eigene hinzuzufügen. In das allgemeine Murmeln und Gelächter hinein kam Frederike Basler nun endlich zu ihrem geplanten Einsatz.
»Bubi«, rief sie. »Ich schlage Bubi Faust vor«, und schon war sie wieder in der Anonymität ihrer dunklen Ecke verschwunden.
»Ein sehr vernünftiger Vorschlag«, rief Roland Basler. »Der Sohn vertritt seinen Vater. Wer dafür ist, hebt bitte die Hand.« Basler wollte das Überraschungsmoment nutzen. Überrumpeln war immer noch die beste Methode, eine Zustimmung zu erhalten. Wenn die Masse erst nachdachte und jeder seinen Senf dazu gab, konnte eine solche Zu sam menkunft ganz leicht aus dem Ruder laufen. Mit ungewissem Ausgang. Aufgabe eines guten Moderators aber war es, die Zügel in der Hand zu behalten und darauf zu achten, dass man sich nicht vom vorgesehenen Weg entfernte. Hatte der Moderator dabei noch eigene Interessen, musste es doch ein Leichtes sein, die Diskussion auch dahingehend zu manipulieren, dass er seinem Ziel näher kam. »Also, Hände hoch. Wer ist dafür, dass Bubi Faust vorerst im Rat mitarbeitet?«
Noch zögerte der Großteil der Anwesenden, aber schon reckten die Ersten ihre Arme. Allen war Bubi zwar noch als unentschlossener Faulpelz im Gedächtnis, als einer, der seine Zeit lieber vor dem Fernseher oder mit Computerspielen verbrachte anstatt seinem Vater auf der Baustelle zu helfen. Aber nach der Katastrophe hatte offensichtlich eine Wandlung eingesetzt. Er hatte an der Seite Kiefers Verantwortung übernommen und kümmerte sich jetzt quasi im Alleingang jede Nacht um ihrer aller Sicherheit. Warum also nicht Bubi? Immer mehr Hände wurden gehoben. Viele wollten endlich zu einem Ende kommen und nach Hause, sie hätten jetzt fast jeden Kandidaten unterstützt.
Plötzlich erhob sich Eugen Nussberger. Ein Hustenanfall verschaffte ihm die nötige Aufmerksamkeit. Er spuckte in ein Taschentuch.
»Hat Bubi nicht so schon genug um die Ohren?«, fragte er. »Der arme Kerl streift jede Nacht durchs Dorf und verschläft den Tag. Außerdem ist er gar nicht hier. Vielleicht will er den Posten überhaupt nicht.«
»Er wird schon wollen.« Basler ließ Nussberger stehen und wandte sich erneut an die anderen. Einige hatten ihre Hände bereits wieder fallen lassen. »Also, wer ist für Bubi?«
Aber Nussberger hatte nicht vor, Basler so einfach gewähren zu lassen. »Ich schlage ihn vor. Entschuldigung, ich hab’ Ihren Namen vergessen.« Nussberger zeigte auf Eckard Assauer, der glaubte, der ne ben ihm sitzende Pfarrer wäre gemeint. Aber die Reaktion des Pfarrers klärte diesen Irrtum umgehend auf.
»Assauer. Eckard Assauer«, antwortete Pfarrer Kühne.
»Richtig. Ich schlage Herrn Assauer vor.« Wieder Gemurmel im Saal. Einige, die sich bereits Richtung Tür aufgemacht hatten, blieben stehen oder kamen neugierig zu ihren Plätzen zurück.
Assauer wollte abwiegeln, aber Kühne beugte sich zu ihm. »Nehmen Sie an.«
»Aber ich kenne kaum jemanden im Ort.«
»Ich unterstütze Eugens Vorschlag.« Hildegund Teufel hob einen ihrer Stöcke. »So können Sie Schwätzern wie dem da«, sie zeigte mit dem Stock auf Uwe Sigg, »den
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