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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Stellen schoss Wasser in dünnen Strahlen aus Ritzen im Beton. Mauerteile lösten sich und fielen in die Tiefe. Wieder ein Zittern, die Risse weiteten sich und neue Fontänen schossen aus dem Beton. Danach ging alles sehr schnell. Das entscheidende Beben rollte durch das Bauwerk. Der Glücklichste Mann der Welt registrierte es und Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Seine Dankbarkeit war unendlich und er wurde ruhig, so ruhig wie niemals zuvor in seinem Leben. Es war vollbracht.
    Die Mauer konnte dem immensen Druck des achtundzwanzig Kilometer langen Stausees nicht länger standhalten. Die Risse brachen auf, Betonbrocken schossen wie Kanonenkugeln davon und überall spritzte Wasser durch immer neue Risse. Schließlich brach das Konstrukt aus Stahl und Beton in sich zusammen. Wassermassen packten die Mauerteile und stießen sie vor sich her in die Tiefe. Der Glücklichste Mann der Welt spürte, wie ihm nun endlich der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. »Halleluja!«, schrie er, dann packten ihn die Wasser, drückten ihn zusammen, pressten alle Luft aus ihm und zermalmten ihn zwischen den Resten der Staumauer. Larissa unterbrach ihr Spiel mit einem der Hufe des Schwarzen und begann zu weinen.
    Es war wie ein schlechter Hollywood-Streifen: der Mann auf der Staumauer, der mit erhobenen Armen auf sein Ende wartete, das Zittern, welches selbst hier an Land spürbar war. Der Glücklichste Mann der Welt hätte seine Freude gehabt. Als hätten die befreiten Wasser einzig auf diesen Moment gewartet, stürmten sie davon. Innerhalb weniger Sekunden sank der Wasserspiegel um einen Meter. Alles lief wie in Zeitlupe ab und ging doch ganz schnell und der Tod raste davon. Eine gewaltige Springflut, so schoss die Flutwelle davon. Sie riss Bäume aus und trieb Fels und Geröll vor sich her. Sie brandete gegen Berghänge und riss alles mit sich. Das seit Jahrzehnten gebändigte Bett der Saale trat über die Ufer und es dauerte Stunden, bis mehr als zweihundert Millionen Kubikmeter Wasser abgeflossen waren. Zurück blieb, dort wo einmal der See gewesen war, ein tiefer schlammiger Graben, unterhalb der Mauer Zerstörung und Tod. Die wenige Kilometer flussabwärts gelegene Hohenwarthetalsperre lief innerhalb kürzester Zeit voll und über. Eine Stunde konnte sie dem Druck standhalten, dann brach auch sie. Die drei erwachsenen Zeugen des spektakulärsten Selbstmordes der jüngeren deutschen Geschichte aber saßen unter einem Berg aus Schutt und Steinen. Die eine Hälfte des Kellers war wenige Minuten nach dem endgültigen Bruch der Staumauer in sich zusammengebrochen. Zuerst rieselten nur Staub und kleine Mauerstücke von der Decke und trieben Hans, Silvia und Malow unter die beiden Fenster, dann brach die Decke ein. In das Rauschen der befreiten Wassermassen mischte sich das Krachen herabstürzender Steine und Balken.
    »Ich habe meine Frau umgebracht.«
    Eine Ewigkeit verging, bis sich der Staub einigermaßen gelegt hatte; bis das Husten erstarb, eine weitere. Eine absolut perfekte Dunkelheit lag auf ihnen, nein, sie waren Teil dieser Dunkelheit. Keiner von ihnen bezweifelte, dass sich daran nie wieder etwas ändern würde.
    »Lass das!« Hans kniete am Boden und tastete nach der Abflussrinne. Sein Mund war voll Staub und jedes Wort kostete Mühe.
    »Es stimmt aber«, flüsterte Malow. Er saß mit dem Rücken zur feuchten Wand. Das ist nun also das Ende, dachte er. Gefangen in einer einsamen Hütte. Wie Lena. »Ich hab sie umgebracht. Meine Frau. Sie hatte keine Beine mehr. Im Schlaf verfolgt sie mich, seit wir Schweden verlassen haben. Sie liegt in ihrem verschwitzten Bett und ihre Beine stehen neben dem Bett. Einfach so an die Wand gelehnt, wie Prothesen, aber sie leben noch und …«
    »Halt’s Maul!«, schrie Silvia.
    Wie durch einen schweren Theatervorhang hörten sie das Rauschen des Wassers, unter dem Schutthaufen hörte es sich wie ein ferner Landregen an. Das Geräusch wurde unmerklich leiser. Umso besser hörten die drei jetzt Larissa schreien.
    »Hör auf …« Silvia verfiel in hysterisches Schluchzen. Sie krabbelte auf allen vieren durch das enge Gefängnis, schob wahllos Gesteinsbrocken zur Seite und weinte. Hans hatte die Rinne gefunden. Die Wand, in der sich der einzige Ausgang und das Abflussloch befanden, war zusammengebrochen. Das Wasser aber sickerte weiterhin aus den Wänden. Bald hatte sich die Rinne mit kaltem Wasser gefüllt.
    »Wenigstens werden wir nicht verdursten«, sagte Hans. Er schöpfte mit

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