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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Ränder und erzählten Geschichten wie die Jahresringe eines Baumes.
    Kiefer hatte den Wagen mit dem offenen Heck zum Eingang hin postiert – jeder sollte sehen, welche Schätze er ihnen brachte. Er legte den Leerlauf ein, zog die Handbremse an, sprang auf seinen Sitz und schob Kopf und Oberkörper zum Dachfenster hinaus. Noch ehe die Frauen, Männer und Kinder begriffen hatten, was hier vor sich ging, zielte er mit der Maschinenpistole auf sie. Mit einer Hand hielt er die Waffe, mit der anderen packte er sein Baseballcap und drehte den Schirm nach hinten.
    Eva Seger kam als eine der Letzten aus dem Gasthaus. Sie stützte Hans. Als sie Martin Kiefer erkannte, zuckte sie zusammen. Auch Kiefer hatte sich in den vergangenen Wochen verändert, man musste ihn schon gut kennen, um ihn überhaupt wiederzuerkennen. Seine schwammigen Gesichtszüge hatten sich verloren, fast sah er abgehärmt aus. Deutlich konnte man die Wangenknochen erkennen. Den Bart musste er gestern, vielleicht auch erst heute Morgen geschnit ten haben – er war höchstens einen Zentimeter lang. Wie bei Bubi hatte ihm der verkehrte Schlafrhythmus alle Farbe aus dem Gesicht gestohlen. Er war leichenblass, unter den weit aufgerissenen Au gen lagen Schatten.
    »Wer ist das?«, flüsterte Hans Eva ins Ohr. Die Menge war zum Stehen gekommen und hatte jetzt nur noch Augen für das, was ihnen aus dem Kofferraum des alten Polos entgegenlächelte.
    »Martin Kiefer«, sagte Eva. Ihre Stimme zitterte. Am liebsten wäre sie davongelaufen.
    »Was?!« Hans wollte nach vorn stürzen, aber Eva hielt ihn zurück und zog ihn in den Schutz des Gebäudes.
    »Nicht, Hans! Hast du nicht die Waffe gesehen? Und seinen irren Blick?«
    »Was will er hier?«
    »Was wohl«, sagte Eva und senkte den Kopf. Hans sah sie einen Mo ment an, dann verstand er.
    »Er ist wegen dir hier?«
    Eva nickte. Es konnte keinen anderen Grund geben.
    Wie um Evas Verdacht zu bestätigen, übertönte jetzt Kiefers Stim me das Blubbern des alten Motors.
    »Was glotzt ihr so?«, fragte Kiefer. »Habt ihr noch nie ein Auto gesehen, he?« Er lachte als Einziger über seinen Witz. Er spielte den Coo len. Alle gafften ihn und das Auto an und das machte ihn noch ner vöser als er ohnehin schon war. Die vergangene Nacht hatte er kaum ein Auge zugetan. Er wusste: dies war die allerletzte Chance!
    Wenn er das jetzt vermasselte, dann tschüss, Eva. Tschüss, Martin Kiefer. Es gab viele, vielleicht zu viele Unbekannte in dem Spiel, das nun begann. Wie würde sich Eva verhalten, wie Hans, der Bastard, und wie Faust? Wie der kümmerliche Rest des Dorfes?
    Aber trotz all dem, was er nicht berechnen hatte können, hatte er sich doch bestmöglich vorbereitet. Wie besprochen stand Basler genau gegenüber, auf der obersten Stufe zum Gasthaus, wie der Anführer der ganzen Bande. Bubi wartete etwas abseits. Faust schwankte und wurde von Eisele und dem alten Mann, den Bubi im Flugzeugwrack gefunden hatte, gestützt. Armer, alter Frieder, dachte Kiefer mit gespiel tem Mitleid, was ist nur aus dir geworden. Aber Kiefer hatte auch für Frieder Faust etwas dabei. Faust hatte es längst entdeckt und es fiel ihm schwer, sich nicht loszureißen, zu dem Wagen zu stürzen und die Flasche zu packen, mit dem Feuerzeug zu öffnen und zu trinken, zu trinken, zu trinken.
    Martin Kiefer hatte den Wagen mit dem größten Teil der Vorräte vollgestopft, die er und Bubi in Sattlers altem Haus deponiert hatten. Da waren zwei Kisten Bier, dazu Wein, Schnaps und eine Flasche Champagner, die Berthold Winterhalder für seine goldene Hochzeit im kommenden Februar weggelegt hatte. Am Hals der Flasche glänzte eine goldene Schleife, die dem Krone-Wirt half, die Flasche umgehend als sein Eigentum zu identifizieren. Und Winterhalder entdeckte noch mehr Sachen, die aus seinem Keller stammen mussten: zwei große geräucherte Schinken, Obstkonserven und Gemüse in Großabnehmerdosen. Außerdem ein durchsichtiger Plastikeimer mit Bonbons und Lutschern sowie ein Stapel Schokoladenquadrate verschiedenster Geschmacksrichtungen. All das war bis zum 25. Mai, dem Tag des Einbruchs, sein Eigentum gewesen!
    »Das sind ja alles meine Sachen!«, rief Winterhalder.
    »Waren, mein Lieber, waren.«
    Zwischen der Beute aus Winterhalders Vorratskeller lagen auch Gläser mit eingeweckten Früchten aus Sattlers Fundus. Außerdem einige Dauerwürste, ein Käse und ein gutes Dutzend Fischbüchsen. Es gab niemanden, dem beim Anblick all der seit zwei Monaten ver missten

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