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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Lebensmittel nicht das Wasser im Mund zusammenlief. Überall wurde geschluckt. Jessika Sutter zog ihre schwangere Mutter am Ärmel: »Mama! Da sind Lutscher!«
    »Was willst du, Martin?«, fragte Roland Basler schließlich. So hatten sie es besprochen. Erst jetzt, als Kiefers Name fiel, erkannten ihn die Leute.
    »Pfui!«, sagte Eugen Nussberger und spuckte auf die Straße. »Dass du dich noch hierher traust!«
    »Na, na, Alter. An deiner Stelle würde ich mein zahnloses Maul nicht so vollnehmen«, schrie Kiefer. Am liebsten hätte er dem alten Nussberger eine Salve aus seiner Maschinenpistole geschenkt. Er zwang seine Konzentration wieder auf Basler. Genau das waren die unberechenbaren Dinge, die alles infrage stellen konnten, dachte Kiefer. Er durfte sich nur nicht provozieren lassen. Höchstens ganz am Schluss, wenn Eva sicher neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. »Ja, Roland, warum könnte ich wohl hier sein? Wollen wir’s doch mal so ausdrücken: Ich konnte euer Leiden und den Hunger im Dorf nicht mehr mit ansehen und habe mich – schließlich ist heute der heilige Sonntag – entschlossen, euch mit einer kleinen Spende aus meinem übervollen Keller unter die Arme zu greifen. Steht nicht irgendwo in der Bibel, man solle das Brot unter den Armen verteilen?«
    Pfarrer Kühne räusperte sich. »In der Bibel handelt es sich aber nicht um gestohlenes Brot.«
    »Wer wird denn so kleinlich sein, Herr Pfarrer? Wollen Sie Ihre Schäfchen verhungern lassen, nur weil es gestohlenes Brot ist? Schau en Sie doch in die Augen der Kinder! Denen ist es egal, wo die leckeren Süßigkeiten herkommen.« Ehe jemand begriff, was Kiefer tat, war der durch das Dachfenster im Wageninnern verschwunden, hatte et was aus dem Kofferraum gegriffen und erschien mit einem breiten Lä cheln und einer Handvoll bunter Lutscher am alten Platz.
    »Für die Kinderlein«, rief er und warf die Lutscher auf die Straße. Sofort sprangen einige Kinder aus den Reihen der Erwachsenen und stürzten sich auf das Geschenk.
    »Lea!« Eva drängte sich nach vorn und rannte zu Lea. Wie die anderen, die sich von ihren Eltern losgerissen hatten und der Verlockung erlagen, hatte auch Lea nur noch Augen für die kleinen klebrigen Dinger, an deren zuckersüßen Geschmack sie sich kaum noch erinnern konnte. Das Kind kniete auf dem Asphalt und seine Augen strahlten, als es den Lutscher auswickelte. »Lea!« Eva stürzte zu ihrer Tochter. Plötzlich lagen zwischen ihr und dem roten Polo weniger als drei Me ter. Auspuffgase waberten ihr entgegen. Lea kniete neben ihr und riss die Folie von ihrem Lutscher.
    »Dieser kleine Glatzkopf da ist also euer Balg!«, sagte Kiefer ernst und leise.
    »Komm, Lea«, flüsterte Eva und nahm Lea an der Hand. Mit einem Schlag war alles ruhig. Alle spürten die Spannung zwischen Kiefer und seiner Exfrau. Jeder, der hier stand, wusste von Kiefers Entführungsversuch. Aus dem Augenwinkel bemerkte Kiefer eine Bewegung. Er riss die Maschinenpistole herum und feuerte eine kurze Salve über die Köpfe der Wartenden. Augenblicklich duckten die sich, Eva packte Lea unter beiden Armen und flüchtete mit ihr ins Gasthaus. Einzig Thomas Bach mann, dem Kiefers Schüsse gegolten hatten, blieb kerzengerade stehen, als hätte er die Schüsse nicht gehört. Aber er hatte richtig gehandelt! Jetzt war sein kleiner Engel in Sicherheit. Die Gefahr war vorüber.
    Auf der Straße richteten sich die Ersten wieder auf, neugierige Gesichter kehrten in die Fenster zurück.
    »Was soll das?«, fragte Basler. »Warum schießt du auf uns?« Das hatten sie nicht ausgemacht.
    »Ach, sei doch still!«, schrie Kiefer. Er suchte nach Eva, aber die Beute war wie vom Erdboden verschwunden.
    »Was ist jetzt mit den Sachen da?«, fragte Uwe Sigg und zeigte auf Kiefers Polo. Seit Tagen, nein, seit Wochen kochte Lisa nichts anderes als einen zähen, kaum genießbaren Getreidebrei. Das Brot, an dem sie sich versucht hatte, wurde hart wie Stein und hing jetzt, versehen mit der Aufschrift »1. Versuch Brot« als mahnendes Beispiel über der Küchentür. Er schielte auf den Schinken. Er nahm all seinen Mut zusam men und kam einen Schritt nach vorn; er wollte als einer der Ersten in den Kofferraum greifen. Aber Berthold Winterhalder zog ihn zurück.
    »Die Sachen gehören mir!«, sagte der.
    »Das muss Martin entscheiden«, erwiderte Sigg und trat an Winterhalder vorbei wieder nach vorn.
    »Nichts da.« Winterhalder packte Uwe Sigg am Arm und riss ihn herum. »Edeltraud, komm,

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