Rau ist die See ...
unterwegs gewesen.
Nach einer Weile öffnete Henry und blinzelte verschlafen. Nachdem er Jade ins Gesicht gesehen hatte, bat er sie sofort herein.
„Du musst mir versprechen, dass du alles für dich behältst, was ich dir jetzt erzählen werde“, sagte sie ohne Einleitung und schloss die Tür hinter sich.
Henry nickte und hob gähnend die Finger wie zu einem Schwur.
Jade setzte sich auf seine Koje, während er auf einem Hocker Platz nahm. Dann fing sie an zu erzählen. Und je mehr sie berichtete, desto wacher wurde Henry.
Zum Schluss kam er aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. „Das ist ja eine irrsinnige Geschichte, Jade. Aber es ist gut, dass du damit bisher nicht zum Kapitän gegangen bist. Granger ist eigentlich ganz okay, aber Fantasie gehört nicht gerade zu seinen Stärken. Er würde handfeste Beweise fordern. Aber ein Mord, bei dem es noch nicht einmal eine Leiche gibt – das wird ihn nicht überzeugen.“
„Das heißt, wir müssen ihm den Killer auf einem Silbertablett servieren?“, fragte Jade zweifelnd.
„So würde ich es nicht ausdrücken, aber im Grunde hast du recht.“ Er sah sie ernst an. „Glaubst du eigentlich, dass Ann noch lebt?“
„Ich will es glauben, bis ich vom Gegenteil überzeugt werde“, erwiderte Jade heftig. „Und ich denke, dass sie sich noch an Bord befindet und irgendwo gefangen gehalten wird.“
Henry rieb sich das Kinn. „Es gibt an Bord hunderte von Vorratsbunkern, Tanks und kleineren Laderäumen, die nicht ständig überwacht werden. Die MS Kyrene ist ein ziemlich guter Platz, um einen Menschen zu verstecken.“
Jade nickte. Henry hatte nur noch einmal bestätigt, was sie schon geahnt hatte. „Ich habe dir erzählt, was aus dem Videotagebuch zu erfahren war. Könntest du dir vorstellen, wer der Mörder ist? Ich meine, als Kabinensteward kennst du doch die Passagiere besser als ich. Und die Crew genauso.“
„Damit hast du wahrscheinlich recht. Ich zermartere mir auch schon das Gehirn, seit du mir von dem Mord erzählt hast. Aber wir kennen das Opfer nicht, und ein Motiv sehe ich auch nicht. Allerdings bin ich weder Detektiv noch Polizist, sondern eben Kabinensteward. Trotzdem, es muss einen Grund geben, warum der Killer seinen Komplizen umgebracht hat. Hieß es nicht auf dem Tape, der Verbrecher würde nachts durch das Schiff schleichen und etwas suchen?“
„Ja, genau. Das hat Ann gesagt.“
Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Es gab vor zwei Jahren einen Juwelendieb, der sich mit seiner Beute auf die MS Kyrene abgesetzt hat. Damals war ich allerdings noch nicht an Bord. Ich weiß noch nicht einmal, wie der Typ hieß, aber das kann man ja übers Internet rauskriegen. Jedenfalls hat er die Klunker angeblich ins Meer geworfen, um Beweismittel zu vernichten. Die Beute hatte immerhin den Wert von einer halben Million Pfund Sterling. Das hat ihm allerdings nichts genützt, er ist trotzdem hinter Gittern gelandet. Mal angenommen, die Juwelen liegen gar nicht auf dem Grund der Nordsee, sondern sind noch irgendwo an Bord versteckt …“
Jade atmete langsam aus. „Eine halbe Million in Form von Schmuck? Dafür würde so mancher Verbrecher auch morden, schätze ich. Das wäre jedenfalls ein Motiv. Und es würde auch erklären, warum dieser Täter nachts durch die Gänge schleicht. Er sucht nach den versteckten Juwelen – wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Es ist wirklich zu ärgerlich, dass Ann den Namen ihres Verdächtigen nicht genannt hat. – Was hältst du eigentlich von Stan Nelligan, Henry?“
„Vom dritten Offizier? Wieso, wie kommst du denn auf den?“
„Nur so“, erwiderte Jade schulterzuckend. Sie hatte Henry noch nichts von Peter erzählt, der ja Beweise gegen Nelligan sammeln wollte. Es wäre ihr wie Verrat vorgekommen, Henry in diese Hintergründe einzuweihen. Und sie konnte das Risiko, dass Henry ihn verriet, nicht eingehen. Jedes Mal, wenn sie an den großen blonden Norweger dachte, schlug ihr Herz schneller.
„Du glaubst, Nelligan könnte etwas mit dem Mord zu tun haben?“, fragte Henry. „Hm, eigentlich ist das gar nicht so abwegig. Ich traue ihm zwar nicht unbedingt eine Gewalttat zu. Aber wenn er nur halb so verschuldet ist, wie die Gerüchte besagen, dann könnte er dringend einen warmen Regen in Form von einer halben Million gebrauchen.“
„Was für Schulden? Was für Gerüchte? Jetzt hast du mich richtig neugierig gemacht, Henry.“
„In der Crew wird gemunkelt, Nelligan wäre ein Spieler. Poker, Black Jack,
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