Raubvogel der Sterne
Kapitel
Ich schlief kaum in dieser Nacht.
In Daillon erzählte man sich immer noch die Geschichte einer Shegriwette, bei der der shegri von Sonnenuntergang an allein in einem Raum gelassen wurde; er erhielt die Augen verbunden, und ihm wurde bedeutet, die Mutprobe würde unerwartet beginnen.
Irgendwann in diesen dunklen Stunden des Wartens wurde die Qual der Erwartung in sich selbst unerträglich. Nach Mittag brach er in unartikulierten Schreien des Grauens zusammen und starb als Irrer, unverletzt – unberührt.
Ich hoffte, aus stärkerem Holz geschnitzt zu sein, aber ich konnte nicht sicher sein, ehe die ultimate Probe vorüber war.
Der Tagesanbruch nahte sich langsam, und als die ersten roten Streifen den Himmel überzogen, kamen Dallisa und der weiße Chak. Sie brachten mich in eine Zelle, in die nur spärliche Helligkeit drang, und Dallisa erklärte formell: „Die Sonne ist aufgegangen.“
Ich gab keine Antwort. Jedes Wort kann als Bitte um Aufhören, als Eingeständnis der Niederlage interpretiert werden, und ich war entschlossen, ihr keinen Vorwand zu liefern.
Dallisa befahl dem Chak: „Überzeuge dich, daß er kein Anästhetikum geschluckt hat.“
Die Züge des Chaks trugen jetzt einen Ausdruck tiefster Abneigung, aber er sprang vor und fesselte meine Arme mit einem seiner stahlharten Vorderglieder. Mit der anderen Hand zwang er meine Kiefer auseinander. Ich fühlte die bepelzten Finger in meinem Hals, schluckte krampfhaft, wehrte mich und brach in ein Würgen aus, das kein Ende nehmen wollte.
Dallisas Augen betrachteten mich gleichgültig, während ich mich bemühte, meinen Ekel zu überwinden. Ihr kaltes, unbewegtes Gesicht gab mir meine kühle Selbstbeherrschung zurück; ich hatte für einen Moment innerlich über die Erniedrigung gerast. Jetzt erkannte ich, daß sie einen bewußten, sorgfältig überdachten Schritt unternommen hatte, um meine Widerstandskraft zu schwächen. Wenn sie mich dazu bringen konnte, meine Kraft in einem Zornesausbruch zu vergeuden, würde meine eigene Phantasie auf ihrer Seite kämpfen und mich überwältigen. Und unter dem Blick dieser Augen wurde mir klar – sie hatte auch nicht eine Minute daran geglaubt, daß ich irgendwelche Drogen eingenommen hatte. Mehr noch, sie war von meiner terranischen Abstammung überzeugt und bediente sich der hinreichend bekannten Abneigung des Terraners gegen den Halbhumanoiden.
„Verbinde ihm die Augen“, ordnete Dallisa an. Unter der Behandlung, die ich über mich ergehen lassen mußte, hatte ich schwer zu leiden. Aber diese Marter ging schneller vorüber, als ich annahm.
Das Geräusch von Stiefeln erscholl auf den Steinen, und ich vernahm Kyrals Stimme, leise und bitter, irgendwo hinter mir. Er murmelte etwas, das ich nicht verstand.
„Sprich laut, du Narr“, versetzte Dallisa scharf. „Er kann uns nicht hören.“
Ich fragte mich, ob ich sprechen sollte und ihnen erklären, daß ich sie sehr wohl hören konnte, aber ihre Stimmen kamen über weite Strecken zu mir und durch das Rauschen eines Sturmes, das wie das Heulen Verwirrter klang, die in den schneeverwehten Pässen der Berge im Sterben liegen. Kyral äußerte: „Wenn er das Bewußtsein verloren hat, dann nur, weil du es ungeschickt angefangen hast.“
„Du sprichst von Ungeschicklichkeit! Vielleicht lasse ich ihn frei, um zu sehen, ob er Rakhal finden kann, wo du versagt hast. Auch die Terraner haben einen Preis auf Rakhals Kopf gesetzt. Und dieser Mann wird sich wenigstens nicht mit seiner Beute verwechseln!“
„Wenn du glaubst, ich würde dich mit einem terranischen Spion feilschen lassen …“, begann Kyral, und Dallisa unterbrach ihn leidenschaftlich:
„Aber du handelst nicht mit den Terranern? Wie wolltest du mich hindern?“
„Ich handle mit den Terranern, weil ich es muß. Aber in einem solchen Fall, bei dem es um die Ehre des Großen Hauses geht …“
„Des Großen Hauses, dessen Stufen du nie erklommen hättest, wäre nicht Rakhal gewesen“, fauchte Dallisa. „Oh, du glaubtest sehr klug zu sein, als du uns beide zu Frauen nahmst. Erst mich und dann Miellyn! Du wußtest nicht, daß Rakhal dahintersteckt, wie? Dann hasse die Terraner!“
Sie spie ihm eine Obszönität ins Gesicht. „Hasse sie, genieße deinen Haß, und inzwischen fällt ganz Shainsa dem Spielzeugmacher zur Beute, wie Miellyn.“
„Wenn du diesen Namen noch einmal in diesem Hause aussprichst“, sagte Kyral sehr leise, „töte ich dich.“
„Wie Miellyn“, wiederholte
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