Raubvogel der Sterne
herunter und sprach hastig und drängend auf ihn ein. Kyrals Ausdruck änderte sich bei ihren Worten; er warf mir einen skeptischen Blick zu, holte tief Atem und warf dann die Peitsche zu Boden.
Er wandte sich an mich: „Antwortet aufrichtig, bei Eurem Leben. Was führt Euch nach Shainsa?“
Ich mußte entweder die Wahrheit bekennen oder eine überzeugende Lüge erfinden, und ich spielte dabei ein verlorenes Spiel, dessen Regeln ich nicht kannte. Die Erklärung, von der ich glaubte, sie würde mich retten, konnte mir augenblicklichen und qualvollen Tod bringen. Plötzlich und mit einer Eindringlichkeit, die fast schmerzhaft wirkte, wünschte ich, Rakhal stünde an meiner Seite.
Aber ich mußte mir allein helfen.
Ich versuchte, den brennenden Schmerz in meinem aufgerissenen Arm zu ignorieren, aber ich wußte, daß Blut aus der Wunde rann und über meine Schulter lief. Endlich erwiderte ich: „Ich bin nach Shainsa in der Absicht gekommen, eine Blutfehde auszutragen.“
Kyrals Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. „Das sollt Ihr zweifelsohne. Mit wem, bleibt allerdings abzuwarten.“
In der Erkenntnis, daß ich nichts mehr zu verlieren hatte, setzte ich hinzu: „Mit Rakhal Sensar.“
Kyrals geballte Finger öffneten sich. Dallisas Augen wirkten geweitet und verblüfft, als sie mich betrachtete. Nur der alte Mann echote: „Mit Rakhal Sensar.“
Ich fühlte mich ermutigt, da ich noch nicht tot war. „Ich habe geschworen, ihn zu töten.“
Kyral klatschte plötzlich in die Hände und befahl dem Chak, den Boden zu säubern. Er vergewisserte sich heiser: „Ihr seid nicht selbst Rakhal Sensar?“
„Ich habe es dir gesagt“, unterbrach ihn Dallisa hysterisch, „ich habe es dir gesagt!“
„Ein narbiger Mann – groß – was sollte ich anderes denken?“ murmelte Kyral mehr zu sich als zu den anderen. Er füllte selbst ein Glas und hielt es mir hin. Er äußerte rauh: „Ich glaubte nicht, daß selbst der Renegat Rakhal den Kodex so weit brechen würde, daß er mit mir trank.“
Ich nahm das Glas, hob es an die Lippen und leerte es. Dann, es zurückstellend, versetzte ich kurz: „Rakhals Leben gehört mir. Aber ich schwöre bei dem roten Stern und bei den reglosen Bergen, bei dem schwarzen Schnee und bei dem Wind der Geister, daß ich keine Rache an irgend jemandem unter diesem Dach habe.“ Ich machte die zeremonielle Geste.
Kyral zögerte, aber unter den lodernden Augen des Mädchens erwiderte er sie, trat vor und legte die Hände auf meine Schulter. Ich fuhr zusammen, als er die Peitschenwunde berührte, und war nicht in der Lage, meinen Arm zu erheben, um den Ritus zu vollenden.
Kyral zuckte die Schultern. „Soll eine der Frauen nach Eurer Verletzung sehen?“ Er warf Dallisa einen Blick zu, aber sie verzog den Mund. „Kümmere dich selbst darum!“
„Es ist unnötig“, kam ich ihm zuvor. „Aber ich fordere als Vergeltung, da wir durch das Band vergossenen Blutes wie der Blutfehde vereint sind, daß Ihr mir alle Nachrichten mitteilt, die Ihr von Rakhal Sensar, dem Spion und Renegaten, habt.“
„Wüßte ich etwas über seinen Aufenthalt“, gab Kyral grimmig zur Antwort, „glaubt Ihr denn, ich befände mich unter meinem Dach?“
Der Greis auf der Estrade brach in schrilles Gelächter aus. „Du hast mit ihm getrunken, Kyral, und jetzt bist du verpflichtet, ihm keinen Schaden zuzufügen. Ich erinnere mich an die Geschichte Rakhals! Er arbeitete zwölf Jahre lang als Spion für Terra – und dann wandte er sich gegen sie, warf ihnen ihr schmutziges Geld ins Gesicht und verließ sie. Aber sein Gefährte war ebenfalls ein terranischer Spion oder irgendein Halbblut aus den Dürrstädten, und sie kämpften, und er trug Narben davon – die gleichen Narben wie Rakhal. Sie kämpften mit Klauenhandschuhen und hätten sich getötet, wären nicht die Terraner, die keine Ehre besitzen, eingeschritten!“
„Bei Sharras Ketten!“ rief Kyral, wobei er mich anblickte und sein Mund sich zu einem Lächeln verzog. „Ihr seid zumindest äußerst klug. Was aber stellt ihr wirklich dar – einen Spion oder den Bastard einer ardcarranischen Schlampe?“
„Das spielt für Euch keine Rolle“, wich ich aus. „Ihr steht in Blutfehde mit Rakhal, aber ich habe ein früheres Anrecht auf sein Leben. Wie Euch Eure Ehre bindet, ihn zu töten, so bindet sie Euch auch, dieses Anrecht zu unterstützen. Wenn irgend jemand unter Eurem Dach etwas über Rakhal weiß …“ Ich musterte langsam ihre Züge.
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