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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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halbe Stunde später mit Platten voller Sandwiches wieder. Man aß, während weitergesprochen wurde, und als die erste Sitzung der Soko um zweiundzwanzig Uhr dreißig schließlich beendet war, verließen die Kollegen müde den Raum. Jedem Einzelnen war seine Aufgabe übertragen worden. Jeder wusste, was er zu tun hatte.
    Wiebke gähnte herzhaft. Es war besser gewesen als befürchtet. Vielleicht hatte Reinhard sich ja über die Jahre die Hörner abgestoßen und – so etwas sollte es schließlich auch bei Männern geben – dazugelernt.
    »Entschuldigung, Wiebke«, sagte Bergmüller, der auf einmal neben ihr stand. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dich persönlich zu begrüßen.« Er hielt ihr seine Hand hin. Sie ergriff sie. »Ist ja eine Ewigkeit her«, sagte er dann. »Gut siehst du aus!«
    »Äh, danke«, stammelte sie. »Du aber auch.«
    Bergmüller grinste. »Wie ich gehört habe, bist du inzwischen verheiratet und hast ein Kind.«
    Ich bin sogar schon das zweite Mal verheiratet, aber das muss ich dir ja nicht auf die Nase binden, dachte Wiebke. Und erst recht nicht, dass ich schon wieder getrennt lebe.
    »Ja, das stimmt. Wir haben einen Sohn, Jonas. Eigentlich bin ich ja …«
    »… im Erziehungsurlaub, ich weiß. Wir, das heißt Kollege Zielkow und ich, hatten auch die heftigsten Gewissensbisse, dich da wegzuholen. Aber …«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Die Sache ist schlimm genug. Ich beziehungsweise wir, also Günter und ich, sehen es ein«, sagte Wiebke. »Ich frage mich nur schon die ganze Zeit, warum der oder die Täter eigentlich unbedingt wollen, dass ich ermittele?«
    »Ich glaube, dass es ein Einzeltäter ist.«
    »Warum glaubst du das?«
    Bergmüller erläuterte Wiebke seine Gründe für diese Annahme, wie er es schon Zielkow gegenüber getan hatte.
    »Da ist was dran«, sagte sie. »Zwei Verrückte mit derselben Macke …«
    »… die sich dann auch noch kennen und einander vertrauen müssten«, ergänzte Bergmüller.
    »Wohl wahr. Dann scheidet die arbeitende Bevölkerung aber vermutlich als Täter aus.«
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Bergmüller sichtlich erstaunt.
    »Den beiden Morden muss eine Entführung vorangegangen sein. Der Täter musste die Opfer irgendwo sicher wegsperren. Dann die Tat begehen. Dafür sorgen, dass wir die Unterlagen kriegen. Gedichte schreiben. Das ist mit einer geregelten Tätigkeit kaum zu vereinbaren.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher«, meinte Bergmüller und kraulte sich das Kinn. »Vielleicht ist er nur gut organisiert oder hat einen flexiblen Job.«
    »Wir stehen ganz am Anfang, wie ich das sehe«, meinte Wiebke.
    »Ja, und deswegen muss auch jeder alles geben.«
    »Darüber wollte ich mit dir sprechen. Du sagtest, ich sollte meine Altfälle durchforsten. Kannst du ein bisschen konkreter werden?«
    »Der Täter hat dich direkt angeschrieben. Also kennt er dich, und im Zweifel du auch ihn. Gehe bitte alle Fälle durch, die du die letzten Jahre bearbeitet hast, und prüfe, ob und wer einen Grund hätte, dich zu hassen oder eine Rechnung mit dir zu begleichen.«
    »Das könnten einige sein.«
    »Gib Gas, aber mach es sorgfältig. Das ist einer unserer wenigen Ansatzpunkte«, mahnte Bergmüller.
    Wiebke blickte auf die Uhr. Während ihres Gespräches hatten sich die anderen Kollegen in den Feierabend verabschiedet.
    »Aber erst morgen. Ich bin hundemüde und möchte nach Hause fahren«, sagte sie. Dann schlug sie mit der flachen Hand gegen ihre Stirn. »So eine Scheiße. Mein Auto steht bei meinem Onkel, und Zielkow hat vergessen, mir den versprochenen Dienstwagen zu geben. Na ja, dann nehme ich mir halt ein Taxi.«
    »Nicht nötig«, meinte Bergmüller. »Ich fahre dich nach Hause und hole dich morgen zum Dienst wieder ab. Wir arbeiten ja schließlich gemeinsam an dem Fall.«
    »Danke«, antwortete Wiebke nur und stellte fest, dass die Zusammenarbeit trotz ihrer Befürchtungen gut anlief.
    Kurze Zeit später saßen sie in Bergmüllers Dienstwagen mit Kieler Kennzeichen. Er brachte sie nach Hause und eröffnete ihr zum Abschied, dass er sie morgen früh um halb sieben abholen würde.
    Um zehn vor zwölf lag Wiebke endlich im Bett. Ihre Gedanken kreisten, an Schlaf war nicht zu denken. Erschrocken stellte sie um kurz vor halb eins fest, dass sie seit heute Mittag nicht ein einziges Mal an Jonas gedacht hatte. Sie schämte sich. Jetzt war es aber zu spät, um noch bei Günter anzurufen. Das durfte sie morgen nicht vergessen, trotz der
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