Raue See
dreißig beginnen. Also würde sie gegen neunzehn Uhr in ihr Auto steigen, um rechtzeitig da zu sein.
Die Bewegungsmelder erfassten Claudia Voigt um neunzehn Uhr sieben. Neonröhren flackerten auf und tauchten die Parkplätze in ein fahles Licht. Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel. Wie eine Raubkatze schlich er sich von hinten an sie heran und drückte ihr den mit Chloroform getränkten Lappen ins Gesicht. Als sie in seinen Armen schwer wurde, nahm er den Autoschlüssel, öffnete das Fließheck des Golfs und wuchtete die leblose Frau in den Wagen.
Er startete das Auto, verließ die Tiefgarage und fuhr nach Leichlingen. Sein Puls normalisierte sich wieder. Der Atem wurde gleichmäßiger. So musste sich auch der Tiger fühlen, wenn er die Beute gerissen hatte.
Wie erwartet sagten sich auf der kleinen Serpentinenstraße zur Rehabilitationsklinik nicht einmal mehr Fuchs und Hase Gute Nacht. Routiniert wurde Claudia Voigt umgeladen, dauerhaft sediert und sorgfältig verstaut. Man würde sie erst nach Tagen, wenn er Glück hatte, sogar Wochen, vermissen. Schließlich war sie Lehrerin, und die Schulferien hatten gerade begonnen. Auf einem Parkplatz an der A1 würde er wie gewohnt ihr Handy entsorgen. Dann konnte niemand mehr ihre Spur verfolgen. Sie war jetzt sein Eigentum. Sein Besitz. Und sein Spielzeug.
SIEBEN
Jonas war endlich eingeschlafen. Günter und Randolph saßen geschafft in der Sitzecke und gönnten sich einen Wodka.
»Dass Kinder so anstrengend sein können, hätte ich nie gedacht«, sagte Randolph. »Es hat schon seinen Grund, warum mich der liebe Gott am anderen Ufer abgesetzt hat.«
»Na ja«, meinte Günter. »Uns fehlt wohl noch die Routine.«
Seit über einer Woche kümmerten sie sich nun schon um Jonas, und er hatte immer noch das Gefühl, dass die Situation sie beide überforderte. Der Kleine hatte auf die neue Situation in den ersten Tagen auch ausgesprochen ungehalten reagiert. Sie hatten lange überhaupt nicht gewusst, wie sie ihn beruhigen sollten, und selbst nur abwechselnd mal ein paar Stunden die Augen zugemacht. Jonas vermisste natürlich seine Mutter und musste sich an die Männerwirtschaft erst gewöhnen.
»Du willst ja nur nicht zugeben, dass du Wiebkes Leistung in den letzten Monaten nicht richtig gewürdigt hast.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, ich wäre auch sauer, wenn ich mir den ganzen Tag den Arsch aufreißen würde und mein Gatte mich abends liebreizend fragt, ob ich mich denn tagsüber auch hübsch ausgeruht habe.«
»Klingt ja fast so, als wenn du dabei gewesen wärst«, sagte Günter mit deutlicher Verärgerung in der Stimme. Er stellte sein Glas auf den Tisch und goss sich nach.
»Du trinkst zu viel«, bemerkte Randolph.
»Wenn ich eine Meckerziege will, kann ich ja gleich zu Wiebke zurückgehen.«
»Ich habe dich nicht gezwungen, diese Anwältin zu ficken und bei mir aufzuschlagen.«
»Hältst du mir das jetzt vor?«
Sie hielten beide inne. Benahmen sie sich etwa gerade wie das sprichwörtliche alte Ehepaar? Sie sahen sich an.
»Entschuldigung.«
»Ist okay.«
Nun schenkte sich auch Randolph nach. Er trank, blickte zur Decke und meinte nachdenklich: »Sag mal, könnte es sein, dass Kinder aus Paaren erst richtige Ehepaare machen?«
Günter zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Vielleicht sollten Wiebke und ich eine Paartherapie in Erwägung ziehen.«
»Du kennst ihre Meinung über Psychologen«, entgegnete Randolph.
»Ja, schon. Aber entweder finden wir einen Weg zurück zueinander, was ich möchte …«
»Oder?«
»Oder wir regeln das Leben neu. Nur so, wie es jetzt läuft, geht es nicht.«
»Wohl wahr. Trotzdem muss sie jetzt erst einmal diesen Wahnsinnigen finden. Oder glaubst du, dass sie in dieser Situation Zeit und Muße hat, über eure Eheprobleme zu philosophieren?«
Günter stimmte wortlos zu. Sie räumten auf und gingen zu Bett. Jonas würde morgen wieder viel zu früh die Nacht beenden. Günter vermisste sein Büro, seine Akten und seine Verbrecher, die hinter Gitter zu bringen schließlich sein Beruf war. Ein Mann konnte nicht den ganzen Tag Windeln wechseln, Fläschchen geben und den Sohnemann im Kinderwagen spazieren fahren. Oder etwa doch?
* * *
»Ich bin alles andere als zufrieden«, donnerte Bergmüller in die Runde.
Nicht einmal Guten Morgen hatte er gesagt. Alle Mitglieder der Soko waren in dem großen Konferenzraum versammelt, um die Ergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren. Die Sitzung hatte schon
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