Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
Vom Netzwerk:
ganzen Aufregung. Sie drehte sich auf die Seite, und irgendwann übermannte sie der Schlaf.
    * * *
    Der Zeitplan war eng, doch er musste unter allen Umständen eingehalten werden. Gut, dass er immer ein paar Kontakte »warm« hatte, wie er das nannte. Wenn er ein neues Opfer brauchte, konnte er kurzfristig die Temperatur erhöhen, bis sie heiß war und eine Verabredung wollte.
    Gesagt, getan. Nun kundschaftete er die Gegend rund um ihre Adresse in Köln aus. Es war eine gediegene, gutbürgerliche Gegend mit ein paar Jugendstilvillen und den typischen modernen Wohneigentumsanlagen, die nach dem Tod der Villenbesitzer anstelle der Villen errichtet wurden. In einer dieser modernen Wohnungen lebte sie.
    Sie war sechsundvierzig und, wenn man dem Foto, das sie ihm gemailt hatte, Glauben schenken durfte, recht gut aussehend. Sie war seit Jahren Single und nicht auf der Suche nach was »Festem«, wie sie schrieb. Also war sie eine von den Schlampen, die doch tatsächlich nur ab und zu einen Begleiter für Kino, Konzert und Oper und einen gelegentlichen Lover suchten. Es war ihm eine besondere Freude, dass ihm so eine ins Netz gegangen war.
    Auf den Klingelschildern entdeckte er ihren Namen: Claudia Voigt. Die Wohnanlage hatte eine Tiefgarage. Perfekt. Lehrerin sei sie, hatte sie geschrieben, Oberstudienrätin an einem Kölner Gymnasium für Deutsch und Politik. Er blickte auf die Uhr. Gleich war Schulschluss. Heute war Freitag, der 6.   Juli, und in NRW wurden die Zeugnisse ausgegeben. Schüler und Lehrer freuten sich auf die bevorstehenden Sommerferien.
    Er setzte sich in sein Auto und beobachtete die Tiefgarageneinfahrt. Aufgrund der Klingelschilder konnte es nicht mehr als vier oder fünf Plätze in der zum Komplex gehörenden Garage geben. Das war gut. Für den Garagentrick war es nämlich wichtig, dass er unbeobachtete zehn bis fünfzehn Minuten Zeit bekam.
    Vor ihm blinkte ein shadow-blue-metallic lackierter Golf, um in die Tiefgarage einzufahren. Sie fuhr einen Golf, das hatte sie ihm berichtet. Er notierte das Kennzeichen. Kurze Zeit später wusste er, dass es tatsächlich ihr Auto war. Er hatte genug gesehen und fuhr los, um seinen Wagen an einer einsamen Stelle zu parken, die er zuvor ausgekundschaftet hatte.
    Sie hatten in den vergangenen Tagen viel gemailt, und schließlich hatte er ihr vorgeschlagen, dass sie beide doch heute Abend zusammen ins Kino gehen könnten. Aufgrund der Fotos würden sie sich schon erkennen. Sie war einverstanden gewesen.
    Außerdem hatte er sich ihr gegenüber als untreuer Ehemann geoutet. Sie fand das nicht schlimm. Deshalb konnte er den Inhaber einer Kölner Werbeagentur mimen. Sie würde ihn nicht im Büro und schon gar nicht bei ihm zu Hause anrufen. »Für alle Fälle« hatte sie seine Handynummer. Das alte Nokia-Gerät mit der nicht registrierten Prepaidkarte piepte. Sie hatte eine SMS geschickt: »Freue mich auf heute Abend. Bin gespannt, was für einen Film du ausgesucht hast. Bussi. Claudia.«
    »Es wird der Film deines Lebens«, tippte er im langsamen Fahren als Antwort und fügte einen Smiley hinzu. Ein Emoticon, das Sympathie und Freude ausdrücken sollte. Sympathisch war sie ihm nicht. Aber er freute sich auf sie.
    Es wird der letzte Film deines Lebens, dachte er, und du spielst die Hauptrolle. Dann gab er wieder Gas.
    Sein Ziel war Leichlingen. Dort gab es eine Klinik, die auf einem Berg lag, die Rehabilitationsklinik Roderbirken. Serpentinenähnlich wandte sich der Weg hinauf. Hier und da konnte man sein Auto abstellen. Abends standen dort manchmal die Wagen der Waldspaziergänger. Sonst aber war wenig los, sodass er sein Opfer bei seiner Rückkehr umladen konnte, ohne entdeckt zu werden.
    Es folgte eine knappe Stunde strammen Fußmarsches zum Bahnhof in Leichlingen, von dem aus alle zwanzig Minuten ein Zug nach Köln fuhr. Dort angekommen, verließ er den Hauptbahnhof und ließ sich von einem Taxi zurück in die Nähe von Claudia Voigts Wohnung bringen. Die Aktion hatte ihn bis jetzt alles in allem drei Stunden gekostet. Aber es war erst sechzehn Uhr zweiunddreißig. Er hatte genug Zeit.
    Er wartete, bis ein Wagen die Tiefgarage verließ. Als das Auto außer Sichtweite war, huschte er die Einfahrt hinunter. Er schaffte es, in die Tiefgarage zu gelangen, bevor das Rolltor wieder unten war.
    Nun begann die nervigste Zeit für den Jäger. Er musste geduldig auf sein Opfer warten und immer auf der Hut sein, um nicht erwischt zu werden. Der Film sollte um zwanzig Uhr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher