Raue See
Chef der Inneren«, schlug Bergmüller vor. »Wir bitten ihn her und sagen ihm, was wir wissen.«
»Oberstaatsanwalt Dr. Christian Schürmann? Oh Mann, das wird aber spaßig«, sagte Wiebke.
»Wieso, was ist mit ihm?«
Mit dieser Frage offenbarte Streicher, wie Wiebke amüsiert feststellte, dass er eben doch Mediziner und kein Polizist war. Jeder Polizist hasste in gewisser Weise die Kollegen von der Inneren, die bei Verfehlungen von Polizisten die Ermittlungen führten. Und Dr. Christian Schürmann nahm seine Aufgabe besonders genau.
»Schürmann ist eine fleischgewordene Dienstanweisung. Er kennt jede Vorschrift, ist exakt bis zum Erbrechen, und nicht wenige behaupten, dass sogar seine Unterhosen eine Bügelfalte hätten«, fasste Wiebke den Charakter des Mannes zusammen.
»Können wir ihm trauen?«, fragte Bergmüller.
Wiebke musste lächeln. »Ich denke schon. Er kann jedenfalls nicht ›Moritz‹ sein.«
»Warum nicht?«
»Schürmann war schon mit sechsundzwanzig Volljurist und Staatsanwalt. Mit neunundzwanzig wurde er Chef der Inneren. Jetzt ist er einunddreißig. Er ist somit Jahrgang 1981. Anfang der Neunziger wird er wohl kaum irgendwelche Computer beim LKA manipuliert haben.«
»Das sehe ich ein«, sagte Bergmüller lächelnd. »Ruf ihn an!«
* * *
Die wenigen Andeutungen, die Wiebke im Telefonat gemacht hatte, genügten vollauf. Zwanzig Minuten nach ihrem Anruf erschien der Oberstaatsanwalt im Keller der Streichers und machte seinem Ruf alle Ehre. Er wirkte wie aus dem Ei gepellt. Sein Blick war klar und kalt. Doch seine Augen verrieten, dass dahinter ein brillanter Verstand werkelte.
»Sie hätten mich früher informieren müssen, Frau Kollegin«, sagte er als Erstes in scharfem Ton. »Laut Paragraf …« Weiter kam er nicht.
»Jetzt passen Sie mal auf, Sie Oberklugscheißer«, fuhr Bergmüller ihn an. »Wir suchen einen extrem gefährlichen Serienmörder, der nach Beweislage zudem ein Polizist, und zwar ein leitender, ist. Das wissen wir selbst auch noch nicht sehr lange. Und bevor ich Leute wie Sie auf einen Kollegen loslasse, muss ich schon ziemlich sicher sein.«
Wiebke zuckte zusammen. Das würde jetzt gewaltigen Ärger geben, da war sie sich sicher. Doch das erwartete Donnerwetter blieb aus.
»Zeigen Sie mir, was Sie haben«, sagte Schürmann. Zu viert gingen sie die Akten- und Beweislage durch.
»Es spricht in der Tat viel gegen den Kollegen Zielkow«, sagte Schürmann schließlich. »Könnte er denn die sechs Morde begangen haben?«
»Ob er für die fraglichen Zeiten ein Alibi hat, müsste natürlich noch geklärt werden«, sagte Wiebke. »Das konnten wir von hier und mit unseren bescheidenen Ressourcen nicht feststellen. Nur rennt uns langsam die Zeit davon. Die angekündigten Morde wurden bisher mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks umgesetzt. Deshalb stirbt vermutlich bald die nächste Frau«, sagte Wiebke. »Das sollte Grund genug sein, ihn eingehend zu vernehmen, zumal seine sexuellen Neigungen zum Täterprofil passen.«
»Woher kennen Sie die sexuellen Neigungen Ihres Vorgesetzten?«, fragte Schürmann. Wiebke war sich nicht sicher, ob sie wirklich einen ironischen Unterton in seiner Stimme bemerkte oder diesen nur hineininterpretierte.
»Reinhard!«, befahl sie. »Erzähl ihm, was du uns erzählt hast.«
»Wiebke, muss das sein?«, fragte Bergmüller.
»Oh ja, das muss es.«
Mit erheblichem Widerwillen berichtete Bergmüller von den eigenwilligen Rekrutierungsmethoden des LKA .
»Darüber wird an anderer Stelle noch zu reden sein, Herr Kollege. Aber ich muss zugeben, dass diese Information im aktuellen Zusammenhang nützlich erscheint.«
Er überlegte kurz und sagte dann: »Okay, ich informiere das SEK .«
»Muss es denn gleich das ganz große Besteck sein?«, fragte Wiebke erschrocken.
Schürmann sah sie aus zusammengekniffenen Augen abwägend an. »Einverstanden. Ohne Scharfschützen, nur zwei Kollegen zur Eigensicherung. Nach bisheriger Sachlage steht Eberhard Zielkow immerhin im dringenden Verdacht, mindestens sechs Menschen bestialisch ermordet zu haben. Ein solcher Mensch ist zu allem fähig. Außerdem besteht die Gefahr des Suizides, den wir, da ein solcher einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, kraft unseres Amtes zu verhindern haben. Das sollten Sie, Frau Kollegin, mit ihrer Historie doch wohl am besten wissen.«
Nein, wirklich feinfühlig ist er nicht, dachte Wiebke betroffen und versuchte, so gut es ging,
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