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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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von dem ich zehren konnte, wenn ich wieder zurückkehrte auf den
alltäglichen Weg, den man Leben nennt.
    Und
ich war unheimlich dankbar, dass ich mir dieses Geschenk machen konnte.
Manchmal hielt ich mitten im Wandern inne, blieb irgendwo stehen, sah auf das
Wegstück, das ich bereits zurückgelegt hatte und das, welches noch vor mir lag,
und sagte einfach nur „Danke“. Dabei genierte ich mich zunächst immer ein
bisschen und kam mir ziemlich kitschig vor, bis mir eine Mitpilgerin gestand, dass sie es ganz genauso machte.
    Auch
das gehört zum Camino — Gefühle zulassen können, die man im nüchternen Alltag
oft abblockt.
    Diese
„Magie“ des Camino soll übrigens erstaunlicherweise nicht weniger werden, wenn
man ihn ein zweites oder drittes Mal geht — sondern im Gegenteil geradezu
süchtig machen.
    „Du
gehst den Weg einmal, dann noch einmal — und irgendwann hat er dich, lässt er
dich nicht mehr los“, erklärte mir ein erfahrener Wiederholungspilger.
    Mich
ließ der Camino schon nach dem ersten Mal nicht mehr los und deshalb war es nur
logisch, dass ich am Ende des Weges den Gedanken wieder aufgriff, den mir die
junge Amerikanerin in Torres del Rio bereits zu Anfang in den Kopf gesetzt
hatte. Ich beschloss, im nächsten Jahr als Hospitalera wiederzukommen — einmal,
um dem Camino ebenfalls etwas zurück zu geben, aber vor allem, um diesen
magischen Pfad von anderer Warte aus kennen zu lernen und dabei vielleicht sein
Geheimnis zu ergründen.

Herbergen — Oasen am Weg
     
    Bevor
ich mich zum Camino aufmachte, hatte ich mit Pilgerherbergen nicht viel im
Sinn. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es gut finden würde, in solchen
Massenquartieren zu übernachten, plante vielmehr, mir jeweils ein nettes kleines
Gasthaus zu suchen und nur im Notfall auf Albergues auszuweichen. Das erklärte
ich auch meinen Camino-Gewährsleuten, als sie mir Tipps für besonders angenehme
Herbergen geben wollten.
    „Das
ist aber schade“, meinten die daraufhin unisono, „da verpassen Sie eine ganze
Menge.“
    Meine
Güte, dachte ich und zog eine Grimasse, was sie am Telefon natürlich nicht
sehen konnten. Was sollte ich schon verpassen außer durchgelegenen Matratzen,
zweifelhaften sanitären Anlagen, fremdem Schweißgeruch und schnarchenden oder sonstwie lästigen Mitpilgern?
    Doch
bereits meine erste Nacht in einer kleinen Privatherberge in Hunto , noch auf französischem Boden einige Kilometer hinter
Saint-Jean, der einzigen Übernachtungsmöglichkeit auf der 26 Kilometer langen
Etappe übers Gebirge nach Roncesvalles, ließ mich die Dinge etwas anders sehen.
Eigentlich ist es doch recht nett, mit anderen Pilgern an einem langen Tisch zu
sitzen, gemütlich zu essen und sich auszutauschen, dachte ich. Und so schlimm
war es nun auch wieder nicht, in einem Mehrbett-Zimmer zu übernachten, zumal in
jener Nacht niemand schnarchte.
    Es
sind die Albergues, das merkte ich im Laufe der nächsten Etappen, die dazu
beitragen, den Camino von einem Weitwanderweg zu einer echten Pilgerreise zu
machen. Tagsüber ist man mehr oder weniger auf sich gestellt, geht den Weg
allein oder mit ein, zwei Gefährten. Abends dann in den Albergues wachsen
Pilger aus aller Herren Länder und aller Altersstufen zu einer Gemeinschaft
zusammen, ein bisschen vergleichbar durchaus mit der Bergkameradschaft in
Alpenhütten, doch hier kommt noch etwas hinzu.
    Der
Pilgerausweis, den man braucht, um in Pilgerherbergen übernachten zu dürfen,
hebt seinen Träger vom Status des einfachen Wanderers in den eines Pilgers.
Nomen est Omen — wer sich als Pilger bezeichnet,
fühlt sich bald auch so, selbst wenn er den Weg zunächst aus profanen Gründen
angetreten hat.
    Der
Wunsch, Santiago tatsächlich zu erreichen, eint alle Pilger und ziemlich rasch
wird man sich bewusst, dass der Camino selbst heutzutage nach wie vor ein
Abenteuer ist, von dem man nicht weiß, wie es letztlich ausgehen wird.
    Zwar
kann man sich nur schwerlich verirren auf dieser Route, die mit gelben Pfeilen,
den Flechas , auf der gesamten Strecke
hervorragend ausgezeichnet ist. Man kann nicht unterwegs verhungern oder
verdursten, denn es liegt alle paar Kilometer eine Ortschaft am Wege. In
unseren Zeiten moderner Kommunikation, wo fast jeder Pilger ein Mobiltelefon
mit sich trägt, muss man auch nicht nach einem Unfall irgendwo hilflos liegen
bleiben. Trotzdem bleibt der Camino unwägbar. Rund 750 Kilometer sind eine
gewaltige Strecke und nicht jeder, der in Saint-Jean losgeht, ist

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