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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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ich erst ein wenig erschrocken, merkte dann aber,
dass die Stimmen zwei alten Frauen gehörten, die um den Schrein herum sauber
gemacht und frische Blumen aufgestellt hatten. Nun waren sie fertig, schlossen
das Gitter vor der Grabnische auf und kamen heraus. Während die eine es eilig
hatte und davon strebte, nestelte die andere an ihrem Schlüsselbund und sah uns
nachdenklich an.
    „Na, ihr Mädchen“, meinte sie
schließlich, „seid ihr beiden aus Santiago?“
    „Nein“, schüttelte meine
Banknachbarin den Kopf, „ich bin aus Galicien.“
    „Und ich bin aus Deutschland.“
    Die alte Frau nickte und gab
sich einen Ruck. „Möchtet ihr mal kurz hinein zum Schrein des Heiligen
Jakobus?“
    Statt einer Antwort sprangen
wir beide synchron auf, stürzten in die Grabnische, sanken auf die Knie, legen Hände
und Stirn auf das kalte Silber des Schreins.
    Ich habe kein Gefühl dafür, wie
lange wir dort so knieten, während ich meinte, mein Herz im ganzen Körper
klopfen zu spüren. Nein, ich glaubte nicht, dass wirklich die Gebeine des
Heiligen Jakobus in diesem Schrein ruhten — aber das spielte letztlich keine
Rolle, trotzdem hatte er eine große Bedeutung für mich.
    In diesem Schrein am Ende einer
schwierigen Wallfahrt sah ich das Symbol für die Suche der Menschen nach dem
Göttlichen, egal was jeder Einzelne für sich darunter verstehen mag, wofür er
aber bereit ist, größte Mühen auf sich zu nehmen.
    Dass ich dieses Symbol jetzt
zum Abschluss meines langen inneren und äußeren Weges im wahrsten Sinne des
Wortes mit Händen greifen durfte, empfand ich als ein unermessliches Geschenk,
als eine Antwort...
    Irgendwann drängte uns die alte
Frau, die Grabnische zu verlassen. Ich umarmte und küsste sie zum Dank, sagen
konnte ich nichts, meine Kehle war wie zugeschnürt.
    Wie ich aus der Kathedrale
wieder herausgekommen bin, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich bin ich
geflogen.
     
    An meinem letzten Tag in
Santiago ging ich mittags in die Pilgermesse. Es herrschte graues winterliches
Wetter, nur wenige Pilger waren angekommen und saßen in den Kirchenbänken, dazu
ein paar Hausfrauen mit schweren Taschen, die zwischen den Einkäufen die Messe
besuchten.
    Der Priester sprach natürlich
über den Camino, verglich ihn, wie üblich, mit dem Lebensweg.
    Auf dem Weg durch unser Leben,
so sagte der Pater, könne es vorkommen, dass wir nicht mehr wüssten, wo es
langginge. Wir seien verwirrt, verirrten uns in Sackgassen, wüssten gar nicht
mehr, wo wir eigentlich ankommen wollten. In solchen Fällen sei es gut, einen
tatsächlichen Weg — eben den Camino — zu gehen, um wieder ein Gefühl für die
richtige Richtung auf unserem Lebensweg zu bekommen.
    Ähnliches hatte ich schon oft
gehört, aber diesmal nahm ich es anders auf. So viele Menschen waren mir
begegnet, die auf dem Camino Antworten auf wichtige Fragen in ihrem Leben
suchten. Ich hingegen hatte erstmal eine Frage
gesucht und weil ich generell ein Spätzünder bin, hatte ich, um das zu
erkennen, sowohl eine Pilgerreise wie auch mehrere Hospitalera-Einsätze gebraucht .
    Die Frage, die sich mir auf dem
Camino stellte, lautete: Willst du wirklich so weitermachen mit deinem Leben,
mit dem du derart unzufrieden bist?
    Für die Antwort auf diese Frage
brauchte ich wahrhaftig keinen brasilianischen Großgrundbesitzer — mittlerweile
konnte ich sowieso nur noch den Kopf schütteln, wie ich dazu kam, eine solch
dämliche Kleinmädchen-Phantasie zu spinnen. Na ja, wahrscheinlich hatte ich zu
viele Hollywood-Schinken gesehen.
    Denn mit der Beantwortung
dieser Frage hatte ich — obwohl mir das erst jetzt bewusst wurde — längst
selbst begonnen. Nach meiner Pilgerreise fand ich, dass ich viel zu viel
Ballast mit mir herumschleppte, mistete Wohnung und Keller aus, verkaufte
Kisten von überflüssigen Dingen, die ich doch nie mehr brauchen würde, auf dem
Flohmarkt.
    Nach meinem ersten
Hospitalera-Einsatz kündigte ich die Wohnung in der Stadt, in der ich schon
lange nicht mehr sein wollte, obwohl ich in der Stadt, wo ich gern hinwollte,
noch keine Bleibe hatte.
    Nach dem nächsten Einsatz
bestellte ich den Möbelwagen, obwohl ich immer noch keine neue Wohnung hatte,
um meine Habe erstmal auf dem Dachboden einer
Freundin zwischenzulagern. Fünf Tage vor dem festgesetzten Termin fand ich in
meiner Wunsch-Stadt genau die passende Wohnung und dirigierte den Möbelwagen
dorthin.
    Nach meinem letzten Einsatz als
Hospitalera schließlich krempelte ich mein ganzes Leben

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