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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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ihr
tatsächlich gewachsen. Es muss zwar nicht gleich so schlimm kommen wie bei
jenem Pilger, den ein Herzinfarkt ereilte, woran seine in Bronze gegossenen
Wanderstiefel als makabres Mahnmal neben dem Camino erinnern.
    Doch
ich habe während meiner Pilgerreise und später als Hospitalera viele sogar
sportlich gut trainierte Menschen den Jakobsweg abbrechen sehen, weil
Sehnenentzündungen, Muskelfaserrisse oder andere körperliche Probleme sie zur
Aufgabe zwangen. Diese Unwägbarkeit, die jedem Pilger irgendwann bewusst wird,
macht verletzlich und schafft in den Albergues zwischen bis dahin einander
fremden Menschen Zutraulichkeit und Nähe.
    Wir halfen uns gegenseitig mit Pflaster und Salben aus,
assistierten einander beim Verarzten der unvermeidlichen Blasen. Weil aber der
Camino nicht nur eine körperliche, sondern auch eine spirituelle
Herausforderung ist, wurde das abendliche Miteinander nicht nur von praktischer
Unterstützung, sondern vor allem vom geistigen Austausch bestimmt. Wir sprachen
über die Gedanken, die sich jeder tagsüber beim Wandern machte, über die Probleme,
für die wir auf dem Camino eine Lösung erlaufen wollten. Dabei stellte ich
fest, dass die wenigsten aus einem handfesten Grund zum Jakobsweg gekommen
waren, etwa weil sie einen Schicksalsschlag verarbeiten wollten. Den meisten
ging es eher wie mir, sie waren hier, weil ein unbestimmter Impuls sie dazu
getrieben hatte. Erst allmählich wurde uns bewusst, welche Gründe tatsächlich
dahinter stecken könnten.
    Diese
Gespräche — ebenso wie die stillschweigende Kameradschaft, das
Gemeinschaftsgefühl, im selben Boot zu sitzen, beziehungsweise den selben Weg zu gehen — sind ein ganz wesentlicher
Bestandteil des Erlebnisses Jakobsweg. Die Pilgerherbergen sind damit mehr als
nur preisgünstige Unterkünfte. Sie sind die Oasen des Camino — wie die
Lagerfeuer in der Wüste, wo Menschen zusammentreffen, die sich in ihrem
normalen Alltag niemals begegnet oder miteinander ins Gespräch gekommen wären.
    Weil
jeder Pilger ein anderes Lauftempo hat und unterschiedliche Tagesetappen geht,
begegnen sich in den Herbergen natürlich nicht ständig dieselben. Allerdings
trifft man sich immer mal wieder und hat sich dann meist viel zu erzählen — und
dabei stellte ich ein ums andere Mal fest, wie sehr wir uns alle während
unserer Pilgerreise veränderten.
    Seit
der Jakobsweg im ausgehenden 20. Jahrhundert einen ungeheuren Aufschwung nahm
und die Pilgerzahlen gewaltig anstiegen, wurde das Netz der Herbergen entlang
des Weges entsprechend ausgebaut, traditionelle Pilgerunterkünfte verbessert,
neue eingerichtet. Meist sind Herbergs-Verzeichnisse bereits überholt, wenn sie
aus der Druckerpresse kommen. Mindestens alle zehn bis zwölf Kilometer findet
sich eine Albergue, lediglich in der Provinz Palencia muss der Pilger zwischen
Carrión de los Condes und Calzadilla mal eine Wegstrecke von 17 Kilometern
zurücklegen, auf der es weder Unterkunft noch Verpflegung gibt — aber auf diese
Besonderheit weist jedes Camino-Wanderbuch vorsorglich hin.
    In
alter Zeit mussten die Pilger in überfüllten Hospizen nächtigen beziehungsweise
mit Scheunen vorlieb nehmen, wo sie auf ein wenig Stroh oder auf der blanken
Erde schliefen. Verglichen damit sind die Herbergen heutzutage wesentlich
komfortabler — insgesamt gesehen ist ihr Standard mittlerweile auch weniger
spartanisch, als es noch Shirley Mac- Laine in ihrem
Camino-Buch beschreibt. Heiße Duschen sind inzwischen gemeinhin eher die Regel
als die Ausnahme, stockfleckige blanke Matratzen findet man zum Glück immer
seltener. In vielen Herbergen gibt es Laken, die mehr oder weniger regelmäßig
gewechselt werden und man kann gegebenenfalls Decken für kalte Nächte
ausleihen.
    Eine
Elektrofirma hat zahlreiche Albergues mit Münzwaschmaschinen und — trocknern ausgestattet. Teilweise wurden sogar
Kaffeeautomaten aufgestellt, damit die Pilger morgens beim frühen Aufbruch,
wenn im Ort noch alles geschlossen ist, wenigstens nicht ohne warmes Getränk
losmarschieren müssen .
    Trotz
all dieser Annehmlichkeiten sind die Herbergen nicht teuer. Betrieben werden
sie von Gemeinden, Pfarreien, Jakobsgesellschaften oder privat und danach richtet
sich auch der Obolus, den man zu entrichten hat. Ein paar Euro kostet für
gewöhnlich die Übernachtung, in manchen kirchlichen Einrichtungen wird sogar
nur eine Spende in freiwilliger Höhe erwartet. Privatherbergen verlangen meist
ein wenig mehr, wie viel, das hängt von

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