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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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schätzen, was ihnen hier geboten wird. Außerdem sind sie
finanziell besser gestellt und da gibt es keine Diskussionen ums Geld“,
behauptete er.
    Ich
hingegen hatte es gern, wenn das Haus voll junger Leute war, fand, dass es dann
meist lustiger zuging — und was die Diskussion ums Geld betraf, so war sie nach
meinen Erfahrungen an der Pforte keineswegs auf eine Altersklasse beschränkt.
Vom Alter unabhängig war es auch, ob Pilger zu schätzen wussten oder nicht, was
ihnen in Rolands kleiner Privatherberge geboten wurde.
    „Ah,
ist das toll hier“, seufzte eine junge Holländerin, nachdem sie andächtig durch
das Treppenhaus mit den hübschen kleinen Stichen und Gemälden an den Wänden
hinaufgestiegen war, einen Blick in das gemütliche Wohnzimmer geworfen hatte
und sich mit wohligem Schnauben auf ihr frisch bezogenes Einzelbett fallen
ließ.
    Ein
älterer Amerikaner hingegen stapfte, ohne rechts und links zu blicken, die
Treppe hinauf, hebelte dabei mit seinem Rucksack eines der Bilder vom Nagel,
sodass es auf den Boden fiel und zerbarst. Für den Schaden legte er später zwei
Euro auf den Küchentisch, was Roland als Beleidigung empfand.
    „In
jedem Hotel hätte der Kerl sich geschämt, weniger als 50 Euro für das kaputte
Bild anzubieten“, erboste er sich. „Aber in einer Herberge denkt er, kann er’s
machen.“
    Es
folgte ein Monolog, den ich bereits kannte, des Inhalts, dass er — Roland — hier
etwas ganz besonderes zu bieten versuchte,
persönliche Atmosphäre, auch von der Ausgestaltung her, und wer das nicht zu
schätzen wisse, den wolle er gar nicht im Haus haben.
    „Vielleicht
erwartest du zu viel von den Pilgern“, suchte ich ihn zu besänftigen. „Schau
mal, wenn die hier ankommen, sind sie schon über eine Woche auf dem Camino,
wenn nicht noch länger. Da wildern die einfach aus und nehmen manches gar nicht
mehr so richtig wahr, weil sie ganz auf ihre unmittelbaren Bedürfnisse
reduziert sind — Rucksack abstellen, duschen, was essen, schlafen. Alles andere
ist nur Beiwerk. Vielleicht solltest du einfach von deinem Anspruch ein
bisschen Abstriche machen.“
    „Bevor
ich von meinem Anspruch runtergehe, mache ich den Laden hier dicht“, schnaubte
Roland und verzog sich auf ein paar Copas in Begoñas
Lokal.
    Wahrscheinlich
hätte Roland besser daran getan, eine kleine feine Pension für ausgesuchte
Gäste aufzumachen. Damit wäre ihm mancher Frust erspart geblieben und er hätte
sich der Anerkennung sicher sein können, die er so dringend suchte. Aber nein,
es sollte ja unbedingt eine Pilgerherberge sein. Über das, was ich „Auswildern“
nannte, die Rückentwicklung sesshafter Bürger zu Nomaden auf Zeit mit allen
dazugehörigen Unsitten, machte ich mir nicht erst Gedanken, seit ich dessen
Auswirkungen beim Saubermachen der Pilgerzimmer unmittelbar mitbekam.
    Es
ist mir heute noch peinlich, wenn ich daran zurückdenke, wie ich seinerzeit als
Pilgerin in einem gediegenen Restaurant einfach meine Wanderstiefel auszog, die
Socken darüber legte und meine nackten Füße auf den Steinboden stellte. Im
Normalalltag Zuhause wäre ich nie und nimmer auf die Idee gekommen, so etwas zu
tun. Aber hier als Pilgerin folgte ich, ohne nachzudenken, meinen unmittelbaren
Bedürfnissen: Wanderpause — heiße Füße kühlen.
    Auch
die Pilger in der Herberge gingen ihren spontanen Bedürfnissen nach, ohne
nachzudenken. Im Bett sitzend verarzteten sie ihre Blasen mit Jod, rieben sich
mit Massageöl ein, aßen Schokolade und schmierten Kugelschreiber über die
Ränder ihrer Tagebücher hinaus — alles Aktionen, deren Spuren auf den Laken
sich nur schwer oder gar nicht mehr entfernen ließen.
    Na,
was mögen sie heute wieder angestellt haben, dachte ich allmorgendlich und war
richtig froh, wenn ich nur Brotkrümel oder gebrauchte Papiertaschentücher in
den Betten fand. Zur Ehrenrettung muss ich allerdings sagen, dass es auch eine
ganze Reihe Übernachtungsgäste in der Herberge gab, die ihre Laken morgens
selber glatt zogen und alles einwandfrei hinterließen. Das versöhnte mich jedes
Mal wieder mit der Pilgerschaft insgesamt und ließ mich Ausrutscher lockerer
sehen.
    Roland
hingegen konnte Ausrutscher oft nicht auf die leichte Schulter nehmen, was
unter anderem sicherlich daran lag, dass er das ganze Jahr über als Hospitalero
den verschiedensten Anforderungen und Belastungen ausgesetzt war, ich hingegen
als freiwillige Helferin nur für eine begrenzte Zeit. Hinzu kam, dass in der
Herberge nicht nur

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