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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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Herbergen am Camino heraus, mit
detaillierten Entfernungsangaben und Informationen über Serviceeinrichtungen
entlang der Route. Diese Liste war so gut, dass sie auch in vielen öffentlichen
Herbergen auslag — nachdem man vorher den Urheber mit Tipp-Ex überpinselt
hatte.
    Zentrale
des Netzwerkes war damals die Privatherberge von Ventosa, auf dem Camino
fünfzehn Kilometer vor Azofra gelegen. Ab und zu fuhren wir dorthin, um
Nachschub an Verzeichnissen zu holen, oder einfach nur, um die Kollegen zu
besuchen und die neuesten Camino-Geschichten auszutauschen. Schon als Pilgerin
war mir aufgefallen, wie schnell sich Nachrichten entlang des Weges
verbreiteten, fast als gäbe es Buschtrommeln wie im alten Afrika. Besonders
gern wurden diese Camino-Trommeln für Klatsch und Tratsch benutzt, zuweilen kam
es mir geradezu vor, als sei der Jakobsweg eine 750 Kilometer lange
Gerüchteküche.
     
    Anders
als in öffentlichen Herbergen werden in den privaten aus wirtschaftlichen
Gründen die Regeln für die Betten-Belegung meist lockerer gehandhabt. Wenn ein
Pilger von unterwegs anrief und seine Ankunft für den Abend ankündigte,
reservierten wir ihm ein Bett, sofern eins frei war, und einzelne Radfahrer,
Gruppen allerdings nicht, durften schon früher als erst spätabends einchecken.
Ging es aber darum, ob Pilger länger als eine Nacht bleiben durften, hatte
Roland keine klare Linie, was es für mich nicht einfach machte; ich konnte nie
voraussehen, wie er entscheiden würde.
    Einem
älteren deutschen Männerpaar, geistreich, witzig und unterhaltsam, bot Roland
von sich aus an, länger zu bleiben, damit sie ohne Stress Tagesausflüge zu den
Klöstern Cañas und San Millán abseits des Jakobsweges
machen konnten. Bei anderen Pilgern wiederum blieb er aus unerfindlichen
Gründen unerbittlich, was ich im Falle von Guiseppe direkt absurd fand.
    Guiseppe
war ein äußerst sympathischer Italiener — alleinstehend, gut aussehend, wenn
auch ohne Latifundien in Brasilien, aber im passenden Alter und auf
unaufdringliche Weise sehr an mir interessiert. Er hatte eine schlimme
Sehnenentzündung und bat Roland deshalb um eine zweite Übernachtung für einen
Rasttag. Diese Marschpause wäre nicht nur sinnvoll gewesen, sondern hätte sogar
den strengen offiziellen Herbergsregeln entsprochen, die Kranken eine zweite
Nacht am selben Ort zubilligten.
    Doch
Roland ließ nicht mit sich reden. „Dies ist eine Pilgerherberge und deshalb
darf hier jeder nur eine Nacht bleiben, beschied er und schickte den armen
Guiseppe am nächsten Morgen wieder auf den Camino, obwohl er kaum gehen konnte.
    In
doppelter Hinsicht bedauernd schaute ich ihm hinterher. Sollte da etwa
Eifersucht bei Roland im Spiel gewesen sein? Ich schob diesen Gedanken beiseite
— Quatsch. Ausgehend von den Fotos seiner zahlreichen Verflossenen, die er mir
gezeigt hatte, war ich überhaupt nicht sein Typ und er im übrigen auch nicht meiner. Vermutlich hatte er
lediglich aus einem Reflex heraus Platzhirschgebaren gezeigt — albern, aber
nicht mehr zu ändern.
    Viel
Zeit für solche Überlegungen hatte ich ohnehin nicht, denn obwohl es Mai und
damit eigentlich Vorsaison war, herrschte Hochbetrieb auf dem Camino. Ab
frühmorgens hörte man das typische Klack-Klack der Wanderstöcke auf der Straße
und es riss bis abends nicht ab. Manchmal standen schon, wenn wir aus Nájera
zurückkamen, Rucksäcke in Wartereihe vor der Tür, während ihre Besitzer in der
Bar Sevilla auf unsere Ankunft warteten.
    „Ein
merkwürdiges Jahr ist das heuer“, bestätigten sich Roland und Begoña des öfteren gegenseitig, „schon jetzt
so ein Betrieb wie im Sommer! Wie soll das erst im Juli und August werden?“ Die
Herberge war fast täglich bis auf den letzten Platz besetzt und gelegentlich
funktionierten wir sogar den Treppenabsatz zum Speicher mit einer Matratze als
Notlager für einzelne Pilger oder Pärchen um. Zur Regel wollte Roland die
Belegung dieses provisorischen Lagers allerdings nicht machen. „Wir haben
schließlich nur ein Badezimmer für die Pilger, da wird es schon bei zwölf
Personen eng. Auf den Treppenabsatz kommen deshalb nur nette Leute, die nicht
so aussehen als würden sie Probleme machen.“
    Doch
wer nett war und wer Probleme machen würde, ließ sich auf den ersten Blick
selten eindeutig feststellen. Außerdem klafften Rolands und meine Vorstellungen
von dem „idealen Gast“ ohnehin auseinander. Roland bevorzugte gesetzte ältere
Pilger.
    „Die
wissen viel mehr zu

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