Raum in der Herberge
mit den Auto fahrenden Abuelos diskutieren zu wollen, war sinnlos.
Wir
wichen der Ellenbogen-Gewalt — ich, indem ich mich mit Anne und Alexandra zu
Begoña verzog und Roland, indem er auf den Opernkulissen-Platz stürmte. Dort
sahen wir ihn vom Lokal aus Kreise und Achten gehen und heftig gestikulierend
Selbstgespräche führen. Später kam er herein und ließ sich mit einer Copa in der Hand auf einen Stuhl neben uns fallen.
„Wehr
dich, Roland“, sagte Anne. „Lass deine Wut nicht auf dem Platz da draußen aus,
sondern an denjenigen, denen sie gilt.“
„Es
hat keinen Zweck, ich kann nicht mit denen diskutieren.“
„Dann
schmeiß sie ohne Diskussion raus. Wir haben die Kerle schon in mehreren
Herbergen getroffen und überall war es das gleiche. Sie walzen rein wie ein
Rollkommando, respektieren keine Grenzen, nehmen keinerlei Rücksicht auf
andere.“
Aber
Roland schüttelte nur müde den Kopf und bestellte einen weiteren Wein. „Was
soll’s? Morgen sind sie ohnehin weg.“ Die kämpferische Anne wollte die Sache
jedoch nicht so ohne weiteres auf sich beruhen lassen und als der junge
Amerikaner aus der Großvater-Truppe ins Lokal kam, knöpfte sie ihn sich vor.
„Warum
bist du mit diesen Typen unterwegs?“
„Nun
ja“, meinte er, ein wenig verlegen ob der Auftritte in der Küche, „ich möchte
halt das richtige Spanien kennen lernen und deshalb dachte ich, ich sollte mit
Spaniern unterwegs sein.“
„Aber
diese Großväter sind verknöcherte alte Holzköpfe, die verkörpern ein Spanien,
das es bald gar nicht mehr gibt. Warum gehst du nicht mit jungen Spaniern,
damit du das moderne Spanien kennen lernst?“
Er
wand sich, fand keine Antwort. Vermutlich fütterten die Großväter ihre
Ersatz-Enkel durch und das wollte er nicht zugeben.
„Drei
Kreuze schlag ich, dass, die weg sind“, seufzte Roland am anderen Morgen und
setzte hinzu: „Siehst du, das ist das Gute in so einer Herberge — wenn
unangenehme Pilger kommen, braucht man sich im Grunde gar nicht aufzuregen, man
weiß genau, sie bleiben ohnehin nur eine Nacht.“ Aber für die angenehmen,
netten Pilger galt das ebenso und das war das Bittersüße am Hospitalera-Job.
Ich lernte in der Herberge viele liebenswerte, interessante Menschen kennen,
begann sie zu mögen — und am nächsten Morgen gingen sie auf Nimmerwiedersehen
davon. Und anders als seinerzeit als Pilgerin hatte ich keine Chance, sie
irgendwo entlang des Camino wiederzutreffen, denn ich blieb schließlich am Ort.
Umso mehr freute ich mich, als eines Abends Castor und Pollux, ein korsisches
Pilgerpaar, das Roland und ich besonders ins Herz geschlossen hatte, erneut vor
der Türe stand. Den Spitznamen hatten wir ihnen verpasst, weil er tatsächlich
Castor hieß, sie Astrologin war und sich beide unzertrennlich wie das
Zwillingsgestirn gaben.
„Da
sind wir wieder! Wir wollten auch auf dem Rückweg hier in dieser hübschen
Herberge übernachten.“
„Wie
— ihr ward schon in Santiago?“
„Nein,
das kommt erst nächstes Jahr. Wir haben nicht so viel Urlaub und legen den
Jakobsweg deshalb in mehreren Jahres-Etappen zurück.“
An
diesem Wiedersehensabend, den wir mit Wein bei Kerzenschein feierten, erzählten
Castor und Pollux, dass sie nach Santiago pilgerten, um für die Rettung von
Castors Leben zu danken. Beinahe wäre er von einem wildgewordenen Stier getötet
worden, doch der Hund des Paares ging mutig dazwischen, attackierte den Stier
und lenkte ihn ab, so dass der schwer verletzte Castor in Sicherheit gebracht
werden konnte. Aus Dankbarkeit hatten sie den treuen Hund ebenfalls mit auf die
Pilgerreise genommen und er marschierte mit Pollux die vollen Etappen, während
Castor, seit dem Stier-Angriff nicht mehr gut zu Fuß, nur kurze Strecken ging
und ansonsten den beiden mit dem Auto folgte.
Der
ruhige, humorvolle Castor und die charmante, hübsche Pollux waren bereits bei
ihrem ersten Aufenthalt in der Herberge derart liebevoll miteinander
umgegangen, dass es Freude machte, sie zu beobachten. Nun auf dem Rückweg
wirkten sie — obwohl schon seit zwölf Jahren zusammen — wie ein junges Paar in
den Flitterwochen. Es schien, als habe der gemeinsame Jakobsweg ihrer Beziehung
zusätzliche Innigkeit gegeben.
Wie
schön, dachte ich. Auf meiner eigenen Pilgerreise hatte ich gesehen, dass das
keineswegs bei allen Paaren auf dem Camino der Fall war.
Die
Tage gingen dahin wie fließendes Wasser, Geschichten, die heute relevant waren,
wurden morgen von neuen
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