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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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das ungefähr so an – du wirst in die andere Richtung geschleudert, weil der Laster langsamer wird. Das bedeutet, da ist ein Stoppschild, und da müssen die Fahrer einen Moment lang anhalten.«
    »Sogar er?«
    »Aber klar. Also, sobald du das Gefühl hast, dass der Laster kaum noch fährt, kannst du an der Seite runterspringen.«
    Ins Weltall. Das sage ich aber nicht, ich weiß ja, dass es nicht stimmt.
    »Du landest auf dem Bürgersteig, der ist so hart wie …« Sie sieht sich um. »So wie Keramik, nur rauer. Und dann läufst du weg und läufst und läufst, genau wie der dicke fette Pfannkuchen.«
    »Den Pfannkuchen hat das Schwein gefressen.«
    »Okay, das war kein gutes Beispiel«, sagt Ma. »Schließlich sind wir zwei die gerissenen Trickser:
    Jack be nimble, Jack be quick … «
    »Jack jump over the candlestick.«
    »Du musst die Straße entlangrennen, weg von dem Laster, so superschnell wie … weißt du noch, wie wir einmal diesen Zeichentrickfilm gesehen haben, den mit dem Road Runner?«
    »Tom und Jerry, die rennen auch.«
    Ma nickt. »Hauptsache, du lässt dich nicht von Old Nick schnappen. Ach ja, und versuch, auf den Bürgersteig zu springen, wenn du kannst, der ist ein bisschen höher als die Straße, dann fährt dich kein Auto um. Und du musst dabei schreien, damit dir jemand hilft.«
    »Wer?«
    »Keine Ahnung, irgendwer?«
    »Wer ist irgendwer?«
    »Lauf einfach auf den Ersten zu, den du siehst. Warte mal … es ist dann ja schon ziemlich spät. Vielleicht ist auch gar keiner mehr unterwegs.« Sie beißt sich auf den Daumen, auf den Nagel. Ich sage ihr nicht, sie soll das lassen. »Wenn du niemanden siehst, musst du einem Auto winken, damit es anhält, und den Leuten darin sagen, dass du und deine Ma gekidnappt wurden. Und wenn es auch keine Autos gibt … ach, Mensch! … dann musst du wohl zu einem Haus laufen … zu irgendeinem Haus, in dem Licht brennt … und dann haust du mit den Fäusten, so fest du kannst, gegen die Tür. Aber nur bei einem Haus mit Licht, nicht bei einem leeren. Du musst es an der Vordertür machen, weißt du, welche das ist?«
    »Die, die vorne ist.«
    »Versuch es gleich mal.« Ma wartet. »Du sprichst genauso mit ihnen wie mit mir. Tu so, als wären sie ich. Was sagst du?«
    »Ich und du, wir sind …«
    »Nein, tu so, als ob ich die Leute in dem Haus wäre oder die in dem Auto oder auf dem Bürgersteig. Sag ihnen, du und deine Ma …«
    Ich versuche es noch mal. »Du und deine Ma …«
    »Nein, du sagst: ›Meine Ma und ich … ‹«
    »Du und ich …«
    Sie pustet die Luft aus den Backen. »Okay, macht nichts, gib ihnen einfach den Zettel. Ist der Zettel noch gut versteckt?«
    Ich gucke in meine Unterhose. »Er ist verschwunden!« Dann spüre ich, dass er nach hinten gerutscht ist, zwischen meinen Popo. Ich hole ihn raus und zeige ihn ihr.
    »Behalt ihn vorne drin. Wenn du ihn aus Versehen fallen lässt, kannst du den Leuten auch einfach sagen: ›Ich bin gekidnappt worden.‹ Sag es mal genau so.«
    »Ich bin gekidnappt worden.«
    »Sag es schön laut, damit sie dich auch hören.«
    »Ich bin gekidnappt worden«, rufe ich.
    »Phantastisch«, sagt Ma. »Dann rufen sie die Polizei und … ich nehme mal an, die Polizisten suchen dann alle Gärten in der Gegend ab, bis sie Raum gefunden haben.« Ihr Gesicht sieht nicht besonders sicher aus.
    »Mit dem Schneidbrenner«, erinnere ich sie.
    Wir üben und üben. Tot, Laster, Rauskrabbeln, Springen, Laufen, Jemand, Zettel, Polizei, Schneidbrenner . Das sind neun Sachen, ich glaube nicht, dass ich die alle gleichzeitig im Kopf behalten kann. Ma sagt, natürlich kann ich, ich bin doch ihr Superheld. Freund Fünf.
    Ich wünschte, ich wäre noch vier.
    Das Mittagessen darf ich aussuchen, weil es ein besonderer Tag ist, nämlich unser letzter Tag in Raum. Das sagt Ma, aber eigentlich glauben tue ich es nicht. Plötzlich bin ich am Verhungern hungrig. Ich suche mir Makkaroni und Hotdogs und Cracker aus, das sind drei Mittagessen auf einmal.
    Die ganze Zeit, wo wir Dame spielen, habe ich Angst vor unserer spannenden Flucht, deshalb verliere ich zweimal, danach habe ich keine Lust mehr.
    Wir versuchen ein Mittagschläfchen, aber wir können nicht ausschalten. Ich kriege was, erst aus der Linken und dann aus der Rechten und dann wieder aus der Linken, bis fast nichts mehr da ist.
    Keiner von uns will was zum Abendessen. Ich muss wieder das kotzige T-Shirt anziehen. Ma sagt, meine Socken kann ich anlassen. »Sonst tut die

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