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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Straße vielleicht an deinen Füßen weh.« Sie wischt sich erst ein Auge und dann das andere. »Zieh dein dickstes Paar an.«
    Ich weiß nicht, warum sie wegen Socken weinen muss. Ich gehe in Schrank und suche unter meinem Kopfkissen Schlimmerzahn. »Den tue ich in meine Socke.«
    Ma schüttelt den Kopf. »Was ist, wenn du drauftrittst und dir den Fuß wehtust?«
    »Mache ich nicht, er bleibt genau hier an der Seite.«
    Es ist 06:13, da ist gleich schon Abend. Ma sagt, ich muss eigentlich schon in Teppich eingerollt sein, vielleicht kommt Old Nick früher, weil ich krank bin.
    »Noch nicht.«
    »Eigentlich …«
    »Bitte nicht …«
    »Dann setz dich hier vorne hin, damit ich dich ganz schnell einrollen kann, wenn wir müssen.«
    Wir sagen den Plan immer wieder auf, damit ich die neun Sachen üben kann:
    Tot, Laster, Rauskrabbeln, Springen, Laufen, Jemand, Zettel, Polizei, Schneidbrenner.
    Jedes Mal, wenn ich das Piep piep piep höre, zucke ich, aber es ist gar nicht in echt, nur ausgedacht. Ich starre auf Türe, er ist so glänzend wie ein Dolch. »Ma?«
    »Hmm?«
    »Lass es uns lieber morgen machen.«
    Sie beugt sich runter und drückt mich ganz fest. Das heißt Nein.
    Ich hasse sie wieder ein bisschen.
    »Wenn ich könnte, würde ich es für dich tun.«
    »Warum kannst du nicht?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Es tut mir so leid, dass nur du es machen kannst und dass es jetzt sein muss. Aber ich bin die ganze Zeit in deinem Kopf, das weißt du ja. Die ganze Zeit spreche ich mit dir.«
    Wir gehen Plan B noch ganz oft mehr durch. »Was ist, wenn er Teppich aufmacht?«, frage ich. »Nur um mich tot anzugucken?«
    Ma sagt einen Moment lang nichts. »Du weißt ja, das Schlagen böse ist.«
    »Ja.«
    »Also, heute Abend ist ein Sonderfall. Ich glaube wirklich nicht, dass er das macht, er will die Sache bestimmt schnell hinter sich bringen, aber wenn er rein zufällig doch … dann schlägst du ihn so fest, wie du nur kannst.«
    Boah.
    »Tritt ihn, beiß ihn, stich ihm in die Augen …« Ihre Finger stechen die Luft. »Mach alles, nur damit du von ihm wegkommst.«
    Ich kann das gar nicht richtig glauben. »Darf ich ihn sogar totmachen?«
    Ma läuft rüber zu Schränkchen, auf dem trocknen die Sachen vom Abwasch. Sie holt Glattmesser. Ich sehe, wie er glänzt, ich muss an die Geschichte denken, wo sie ihn Old Nick an den Hals gehalten hat. »Was meinst du, kannst du das festhalten, wenn du in den Teppich gerollt bist, und falls …« Sie starrt Glattmesser an. Dann legt sie ihn wieder zu den Gabeln auf Abtropfer. »Was habe ich mir dabei eigentlich gedacht?«
    Woher soll ich das wissen, wenn sie es nicht weiß.
    »Du erstichst dich ja«, sagt Ma.
    »Nein, mache ich nicht.«
    »Doch, Jack, ganz bestimmt. Du schnitzelst dich kurz und klein, wenn du mit einer offenen Klinge in einem Teppich herumstrampelst … Ich glaube, ich verliere langsam den Verstand.«
    Ich schüttele den Kopf. »Er ist da drin.« Ich tippe auf ihre Haare.
    Ma streichelt meinen Rücken.
    Ich taste nach Schlimmerzahn, er ist in meiner Socke. Der Zettel ist in meiner Unterhose, vorne. Damit die Zeit vorbeigeht, singen wir, aber leise. Loose Yourself und Tubthumping und Home on the Range .
    »Where the deer and the antilope play« , singe ich.
    »Where seldom is heard a discouraging word …«
    »And the skies are not cloudy all day.«
    »Es wird Zeit«, sagt Ma und hält Teppich auf.
    Ich will nicht. Ich lege mich hin und tue meine Hände über meine Schultern, meine Ellbogen gucken raus. Ich warte, dass Ma mich aufrollt.
    Aber anstatt guckt sie mich nur an. Meine Füße, meine Beine, meine Arme, meinen Kopf; ihre Augen rutschen immer wieder über mein ganzes Ich hin und her, als wäre sie am Zählen.
    »Was ist?«, frage ich.
    Sie sagt kein Wort. Sie beugt sich runter, aber sie küsst mich nicht, sie berührt nur mein Gesicht mit ihrem, bis ich nicht mehr weiß, welches wem gehört. Meine Brust macht bumm bumm bumm . Ich will sie nicht loslassen.
    »Also dann«, sagt Ma, ihre Stimme ist ganz kratzig. »Wir haben ganz schöne Mungst, was? Totale Mungst. Wir sehen uns dann draußen.« Sie faltet Teppich über mich, und das Licht ist weg.
    Ich bin in dem kratzigen Dunkel eingerollt.
    »Nicht zu eng?«
    Ich versuche, ob ich meine Arme über meinen Kopf und wieder zurück kriege, es schrammt ein bisschen.
    »Okay?«
    »Okay«, sage ich.
    Dann warten wir nur noch. Etwas kommt oben in Teppich rein und reibt meine Haare, es ist ihre Hand, das weiß ich,

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