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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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meinen Rippen. Ich hab’s vermasselt, er hat mich geschnappt, es tut mir leid leid leid, Ma . Er hebt mich hoch.
    Dann schreie ich, aber ich schreie noch nicht mal Wörter. Er hat mich unter dem Arm, er trägt mich wieder zum Laster, Ma hat gesagt, ich darf schlagen, ich darf ihn umbringen, ich schlage und schlage, aber ich komme nicht dran, ich schlage nur mich selbst …
    »Entschuldigen Sie«, ruft die Person mit der Kacka-Tüte. »He, Mister!« Seine Stimme ist nicht tief, und sie ist leiser.
    Old Nick dreht uns um. Ich vergesse zu schreien.
    »Tut mir leid. Fehlt Ihrem kleinen Mädchen auch nichts?«
    Was für ein kleines Mädchen?
    Old Nick räuspert sich, er trägt mich immer noch weiter zum Laster, aber er geht jetzt rückwärts. »Alles bestens.«
    »Normalerweise tut Raja nichts, aber als die Kleine plötzlich auf ihn zugerannt kam …«
    »Nur ein Trotzanfall«, sagt Old Nick.
    »He. Warten Sie doch mal. Ich glaube, ihre Hand blutet.«
    Ich gucke auf meinen gefressenen Finger. Das Blut macht Tropfen.
    Der Jemand hat die Baby-Person hochgehoben, er hält sie auf dem Arm und die Kacka-Tüte in der anderen Hand und sieht ganz durcheinander aus.
    Old Nick stellt mich hin, er hat seine Finger so fest auf meiner Schulter, dass es wehtut. »Alles unter Kontrolle.«
    »Und ihr Knie auch, das sieht übel aus. Das war aber nicht Raja. Ist sie hingefallen?«, fragt der Mann.
    »Ich bin keine Sie«, sage ich, aber nur in meinem Hals drin.
    »Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten.« Old Nick knurrt beinahe.
    Ma, Ma, du musst das mit dem Reden machen. Sie ist nicht mehr in meinem Kopf, sie ist überhaupt nirgends. Sie hat doch den Zettel geschrieben, ganz vergesst, ich schiebe meine nicht gefressene Hand in meine Unterhose und kann ihn nicht finden, aber dann doch, er ist voller Pipi. Ich kann nicht sprechen, aber ich winke dem Jemand damit.
    Old Nick reißt ihn mir weg und verschwindet ihn.
    »Hören Sie, das hier … das hier gefällt mir nicht«, sagt der Mann. Er hat ein kleines Telefon in der Hand, wo ist das denn hergekommen? Er sagt: »Ja, bitte die Polizei.«
    Alles passiert genau so, wie Ma es gesagt hat, jetzt sind wir schon bei Polizei , das ist acht, dabei habe ich noch nicht mal den Zettel gezeigt oder von Raum erzählt, ich mache alles andersrum. Ich soll mit dem Jemand reden, als ob er ein Mensch ist. Also sage ich: »Ich bin gekidnappt worden«, aber es kommt nur ganz leise raus, weil Old Nick mich wieder hochgehoben hat und zum Laster läuft, er rennt. Ich zittere wie verrückt, ich kann ihn nicht richtig schlagen, gleich hat er …
    »Ich habe Ihr Kennzeichen, Mister.«
    Das ist die Mann-Person, sie schreit, schimpft sie mich aus? Was für ein Kennzeichen?
    »K neun drei …« Er ruft Zahlen, warum ruft er Zahlen?
    Plötzlich, aua aua aua , haut mich die Straße auf mein Bäuchlein und auf die Hände und ins Gesicht, und Old Nick rennt weg, aber ohne mich. Er hat mich fallen lassen. Jede Sekunde ist er weiter weg. Er hat mich fallen lassen, das müssen Zauberzahlen sein!
    Ich versuche aufzustehen, aber ich weiß nicht, wie.
    Dann ein Krach wie von einem Ungeheuer, der Laster macht WRUMMM und kommt auf mich zu, bestimmt haut er mich gleich in Stücke, ich weiß nicht, wie wo was, das Baby weint, ich habe noch nie ein echtes Baby weinen hören …
    Der Laster ist weg. Er ist einfach vorbeigefahren und um die Ecke, ohne anzuhalten. Ich höre ihn noch ein bisschen, dann höre ich ihn nicht mehr.
    Da ist der höhere Teil, der Bürgersteig, Ma hat mir gesagt, ich soll auf den Bürgersteig. Ich muss kriechen, aber ohne das Knie auf den Boden zu tun. Der Bürgersteig hat lauter große, verkratzte Vierecke.
    Dann ein schrecklicher Gestank. Die Nase von dem Hund ist direkt neben mir, er ist wiedergekommen und will mich auffressen, ich schreie.
    »Raja!« Der Mann zieht den Hund weg. Dann hockt er sich hin, das Baby hat er auf einem Knie, es zappelt. Die Kacka-Tüte hat er nicht mehr. Er sieht genauso aus wie eine Fernseher-Person, nur näher und breiter und mit Geruch, ein bisschen wie Spüli und Minze und Curry gemischt. Mit der Hand, die nicht den Hund hält, versucht er an mich dranzukommen, aber ich rolle mich gerade noch rechtzeitig weg. »Ist ja gut, Süße«, sagt er. »Ist ja alles gut.«
    Wer ist Süße? Seine Augen gucken auf meine Augen. Süße, das bin ich. Ich kann nicht hingucken, es ist zu verrückt, ihn anzugucken, wie er mich anguckt, und dann redet er auch noch

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