Raum
die Eisenbahn wieder raus, ich lasse sie durch mein T-Shirt hochfahren, sie ist mein Baby, es guckt raus, und ich küsse es überall.
»Vermutlich im Januar, frühestens aber im Oktober könnte die Sache vor Gericht verhandelt werden«, sagt Morris.
Bei Alice will das Gericht wissen, wer die Kuchen gestohlen hat, die Eidechse Bill muss mit dem Finger schreiben, und als Alice die Geschworenenbank umwirft, stellt sie sie aus Versehen falsch rum wieder auf, haha.
»Nein, ich will wissen, wie lange er im Gefängnis bleibt«, sagt Ma.
Sie meint ihn. Old Nick.
»Nun ja, wie ich vom Bezirksstaatsanwalt höre, hofft er auf fünfundzwanzig bis lebenslang, und bei Verstößen gegen Bundesgesetze gibt es keine Bewährung«, sagt Morris. »Immerhin haben wir es hier zu tun mit Entführung aus sexuellen Beweggründen, Freiheitsberaubung sowie vielfacher Vergewaltigung und Körperverletzung …« Er zählt an seinen Fingern, nicht in seinem Kopf.
Ma nickt. »Und was ist mit dem Baby?«
»Meinen Sie Jack?«
»Ich meine das erste. Gilt das nicht irgendwie als Mord?«
Diese Geschichte habe ich überhaupt noch nie gehört.
Morris verzieht den Mund. »Nicht, wenn es nicht lebend geboren wurde.«
»Sie.«
Ich weiß nicht, wer die Sie ist.
»Sie natürlich, ich bitte um Entschuldigung«, sagt Morris. »Das Höchste, worauf wir hier hoffen können, ist fahrlässige Tötung, möglicherweise auch Totschlag …«
Sie versuchen, Alice aus dem Gericht zu verbannen, weil sie mehr Groß hat als eine Meile. Da gibt es so ein Gedicht, aber schwer zu verstehen:
Würd’ ich und sie vielleicht darein
Verwickelt und verfahren,
Vertraut er dir, sie zu befrei’n,
Gerade wie wir waren.
Plötzlich ist Noreen da, ohne dass ich es gemerkt habe, sie fragt, ob wir lieber nur für uns oder im Speisesaal zu Abend essen wollen.
Ich trage meine ganzen Spielsachen in dem großen Umschlag. Ma weiß nicht, dass es sechs sind und nicht fünf. Ein paar Personen winken, als wir reinkommen, also winke ich zurück, zum Beispiel dem Mädchen mit ohne Haare und am ganzen Hals Tattoos. Eigentlich stören Personen mich nicht besonders, solange sie mich nicht anfassen.
Die Frau mit der Schürze sagt, sie hat gehört, dass ich ins Draußen gegangen bin. Wie sie mich gehört hat, weiß ich aber nicht. »Und, hat es dir gefallen?«
»Nein«, sage ich. »Ich meinte, nein danke.«
Ich lerne viele neue Manieren. Wenn etwas eklig schmeckt, sagt man, es ist interessant, zum Beispiel wilder Reis, der fühlt sich beim Beißen so an, als wäre er gar nicht gekocht. Wenn ich mir meine Nase putze, falte ich das Taschentuch zusammen, damit niemand den Rotz sieht, das ist ein Geheimnis. Wenn ich will, dass Ma mir zuhört und nicht irgendeiner Person, sage ich: »Entschuldigung«, manchmal muss ich auch erst ewig »Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung« sagen, und wenn sie dann fragt, was ist, weiß ich es nicht mehr.
Als wir im Schlafanzug auf dem Bett liegen und ich was kriege, fällt es mir wieder ein. »Wer ist das erste Baby?«, frage ich.
Ma guckt zu mir runter.
»Du hast Morris gesagt, es gab eine Sie, die hat einen Mord gemacht.«
Ma schüttelt den Kopf. »Was ich meinte, war, sie ist ermordet worden … irgendwie.« Ihr Gesicht ist von mir weg.
»Hab ich das gemacht?«
»Aber nein! Du hast gar nichts gemacht. Es war ein Jahr bevor du überhaupt geboren wurdest«, sagt Ma. »Weißt du noch, wie ich dir immer erzählt habe, dass du, als du das erste Mal auf Bett kamst, ein Mädchen warst?«
»Ja.«
»Damit habe ich sie gemeint.«
Jetzt bin ich noch durcheinanderer.
»Ich glaube, sie hat versucht, du zu sein. Die Sache mit der Schnur …« Ma legt den Kopf in ihre Hände.
»Die von der Jalousie?« Ich gucke zur Jalousie, durch die Streifen kommt nur noch Dunkel.
»Nein, du weißt doch, die Schnur, die in den Bauchnabel geht.«
»Die hast du mit Schere durchgeschneidet, und dann war ich frei.«
Ma nickt. »Aber bei dem kleinen Mädchen hat sie sich ganz verheddert, als sie herauskam, deshalb konnte sie nicht atmen.«
»Die Geschichte gefällt mir nicht.«
Sie drückt sich auf die Augenbrauen. »Lass mich erst mal zu Ende erzählen.«
»Ich will …«
»Er stand direkt daneben und hat zugesehen.« Ma schreit beinahe. »Er hatte keinen blassen Schimmer, wie man ein Kind auf die Welt bringt, er hat sich noch nicht mal die Mühe gemacht, das zu googeln. Ich konnte ihre Schädeldecke fühlen, sie war ganz glitschig, ich habe
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