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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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gepresst und gepresst. Ich habe geschrien: ›Hilf mir, ich schaffe es nicht, hilf mir!‹ Und er hat einfach nur dagestanden.«
    Ich warte. »Ist sie in deinem Bäuchlein geblieben? Das kleine Mädchen?«
    Erst sagt Ma gar nichts und dann: »Als sie rauskam, war sie ganz blau.«
    Blau?
    »Sie hat nie ihre Augen aufgemacht.«
    »Dann solltest du bei Old Nick nach Medizin für sie fragen, als Sonntagsgutti.«
    Ma schüttelt den Kopf. »Die Nabelschnur hatte sich ganz fest um ihren Hals gewickelt.«
    »War sie immer noch in dir festgebunden?«
    »Bis er sie abgeschnitten hat.«
    »Und dann war sie frei?«
    Auf die ganze Decke fallen Tränen. Ma nickt und weint, aber auf stumm.
    »Ist sie jetzt fertig? Die Geschichte?«
    »Fast.« Ihre Augen sind zu, aber trotzdem läuft immer noch Wasser raus. »Er hat sie mitgenommen und unter einem Busch im Garten vergraben. Das heißt, nur ihren Körper.«
    Der war blau.
    »Ihr eigentliches Ich ist sofort in den Himmel gekommen.«
    »Ist sie da recycelt worden?«
    Beinahe lächelt Ma. »Die Vorstellung daran, dass es so gewesen ist, finde ich jedenfalls schön.«
    »Warum findest du sie schön?«
    »Vielleicht warst es ja wirklich von Anfang an du. Ein Jahr später hast du es dann noch mal probiert und bist diesmal als Junge zurückgekommen.«
    »Und da war ich in echt. Ich bin nicht wieder weggegangen.«
    »Das wär doch gar nicht in die Tüte gekommen.« Noch mehr Tränen fallen raus, sie reibt sie weg. »Diesmal habe ich ihn nicht in Raum reingelassen.«
    »Warum nicht?«
    »Als ich die Türe hörte, das Piepen, da habe ich gebrüllt: ›Verschwinde!‹«
    Ich wette, da war er aber sauer.
    »Diesmal hatte ich mir alles überlegt. Ich wollte, dass nur wir zwei dabei waren.«
    »Und was für eine Farbe hatte ich?«
    »Knallrot.«
    »Und habe ich meine Augen aufgemacht?«
    »Du bist sogar schon mit offenen Augen geboren.«
    Ich gähne ganz lange. »Können wir jetzt schlafen?«
    »Na klar«, sagt Ma.
     
     
     
    In der Nacht falle ich, boing , auf den Boden. Meine Nase läuft ganz viel, aber ich weiß im Dunkel nicht mehr, wie putzen geht.
    »Das Bett hier ist für zwei zu klein«, sagt Ma am nächsten Morgen. »In dem anderen hättest du es bestimmt bequemer.«
    »Nein.«
    »Und wie wäre es, wenn wir die Matratze rausnehmen und direkt hier neben mein Bett legen? Dann könnten wir sogar Händchen halten.«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Jack, wir müssen uns was einfallen lassen.«
    »Wir bleiben lieber beide in dem einen, aber wir lassen die Ellbogen drin.«
    Ma putzt sich ganz laut die Nase, ich glaube, der Schnupfen ist von mir auf sie gesprungen, aber haben tue ich ihn auch noch.
    Wir haben abgemacht, dass ich mit ihr in die Dusche komme, aber den Kopf draußen lasse. Das Pflaster an meinem Finger ist abgefallen, und ich kann es nicht wiederfinden. Ma bürstet mir die Haare, die Knötchen tun weh. Wir haben eine Haarbürste und zwei Zahnbürsten und unsere ganzen neuen Sachen und die kleine Holzeisenbahn und noch andere Spielsachen. Ma hat immer noch nicht gezählt, deshalb weiß sie nicht, dass ich sechs genommen habe anstatt fünf. Ich weiß nicht, wo die Sachen hingehören, ein paar auf die Kommode, ein paar auf den Tisch neben dem Bett, ein paar in den Schrank, immer wieder muss ich Ma fragen, wohin ich alles räumen soll.
    Sie liest eins von ihren Büchern ohne Bilder, aber anstatt bringe ich ihr die mit Bildern. Die kleine Raupe Nimmersatt ist eine furchtbare Verschwenderin, sie frisst nur Löcher in Erdbeeren und Salami und überhaupt in alles und lässt den Rest liegen. Ich kann meinen wirklichen Finger durch die Löcher stecken, erst denke ich, jemand hat das Buch kaputt gemacht, aber Ma sagt, das ist extra so, damit es noch mehr Spaß macht. Mir gefällt Lauf, Hündchen, lauf besser, vor allem die Stelle, wo die Hündchen sich mit Tennisschlägern zanken.
    Noreen klopft und bringt ein paar aufregende Sachen. Erstens ganz weiche, biegsame Schuhe, die sind wie Socken, aber aus Leder. Dann eine Uhr mit Zahlen, damit ich sie lesen kann wie unseren Uhr. Ich sage: »Es ist jetzt neun Uhr siebenundfünfzig.« Für Ma ist sie zu klein, sie gehört nur mir. Noreen zeigt mir, wie man das Band an meinem Handgelenk festmacht.
    »Jeden Tag Geschenke, da wird er ja vollkommen verwöhnt«, sagt Ma und schiebt ihre Maske wieder hoch, damit sie sich die Nase putzen kann.
    »Dr. Clay hat gesagt, alles, was dem Jungen ein Gefühl der Stabilität gibt, ist gut.« Wenn sie lächelt,

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