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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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gehören«, sagt Dr. Clay. »Zum Beispiel die Flüsse und die Berge.«
    »Und die Straße?«
    »Ganz richtig, wir dürfen alle die Straßen benutzen.«
    »Ich bin auf der Straße gelaufen.«
    »Als du geflohen bist, das stimmt.«
    »Weil wir ihm nämlich nicht gehört haben.«
    »Genau.« Dr. Clay lächelt. »Weißt du, wem du gehörst, Jack?«
    »Ja.«
    »Dir ganz allein.«
    Da vertut er sich, ich gehöre Ma.
    Die Klinik hat immer noch mehr Teile, zum Beispiel einen gigantossalen Raum mit einem riesigen Fernseher. Ich hopse rauf und runter, weil ich hoffe, dass Dora kommt oder SpongeBob. Die habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Aber es kommt nur Golf, drei alte Leute gucken zu, die Namen weiß ich nicht.
    Im Flur fällt es mir wieder ein, ich frage: »Wofür ist der Segen?«
    »Häh?«
    »Dr. Clay hat gesagt, dass ich aus Knete bin und vergessen würde.«
    »Ach so«, sagt Ma. »Er denkt sich, dass du dich schon bald nicht mehr an Raum erinnern kannst.«
    »Kann ich doch.« Ich starre sie an. »Soll ich ihn etwa vergessen?«
    »Ich weiß auch nicht.«
    Das sagt sie neuerdings immer. Sie ist schon vorgegangen und an den Stufen. Ich muss rennen, damit ich sie einhole.
    Dann nach dem Mittagessen. Ma sagt, es wird Zeit, dass wir mal wieder versuchen, ins Draußen zu gehen. »Wenn wir die ganze Zeit drinnen blieben, wäre es ja genauso, als hätten wir unsere spannende Flucht gar nicht gemacht.« Sie hört sich sauer an, sie bindet sich schon die Schnürsenkel zu.
    Nach meiner Mütze und der Sonnenbrille und den Schuhen und schon wieder dem klebrigen Zeug bin ich müde.
    Noreen wartet am Aquarium auf uns.
    Es ist so hell, dass ich meine, ich muss losschreien. Dann wird meine Sonnenbrille dunkler, und ich kann nichts mehr sehen. Die Luft in meiner wunden Nase riecht komisch, und mein Hals ist ganz eng. »Stell dir einfach vor, du siehst das alles im Fernsehen«, sagt mir Noreen ins Ohr.
    »Häh?«
    »Versuch es einfach mal.« Dann spricht sie mit einer Extrastimme: »Hier sehen wir einen Jungen namens Jack, der mit seiner Mutter und ihrer Freundin Noreen spazieren geht.«
    Ich gucke ihr zu.
    »Was hat Jack denn da auf seinem Gesicht?«, sagt sie.
    »Eine coole rote Sonnenbrille.«
    »In der Tat. Seht mal, sie gehen alle an einem milden Apriltag über den Parkplatz.«
    Es sind vier Autos da, ein rotes und ein grünes und ein schwarzes und ein braungoldenes. Burnt Siena , so heißt der Buntstift. In den Fenstern drin sind sie wie kleine Häuser mit Sitzen. In dem roten hängt ein Teddybär am Spiegel. Ich streichle das Vorderteil von dem Auto, es ist ganz glatt und so kalt wie ein Eiswürfel. »Vorsicht«, sagt Ma, »sonst löst du noch die Alarmanlage aus.«
    Das wusste ich nicht, ich klemme meine Hände wieder unter die Ellbogen.
    »Komm, wir gehen aufs Gras.« Sie zerrt mich ein bisschen.
    Ich zertrample die grünen Nägel mit meinen Füßen. Dann bücke ich mich und reibe drüber, sie pieksen mich nicht in die Finger. Der eine, den Raja fressen wollte, ist fast schon wieder zugewachsen. Ich gucke wieder auf das Gras, da liegt ein Zweig und ein Blatt, das ist braun, und dann noch was, das ist gelb.
    Dann ein Summen, deshalb gucke ich hoch, der Himmel ist so groß, dass er mich fast umhaut. »Ma. Noch ein Flugzeug!«
    »Kondensstreifen«, sagt sie und zeigt hoch. »Gerade ist es mir wieder eingefallen, so heißt die Linie da oben.«
    Ich trete aus Versehen auf eine Blume, es gibt Hunderte, keine Sträuße, wie die Verrückten sie uns mit der Post schicken, sie wachsen direkt auf der Erde wie Haare auf meinem Kopf. »Osterglocken«, sagt Ma und zeigt drauf, »Magnolien, Tulpen, Flieder. Sind das da Apfelblüten?« Sie riecht an allem, sie schiebt meine Nase an eine Blume, aber die ist zu süß, und mir wird schwindelig. Sie sucht einen Flieder aus und gibt ihn mir.
    Von nahe dran sind die Bäume riesige Riesen, sie sind nicht wie Haut, sie sind höckeriger. Ich finde ein dreieckiges Ding so groß wie meine Nase, und Noreen sagt, das ist ein Stein.
    »Er ist Millionen von Jahren alt«, sagt Ma.
    Woher weiß sie das? Ich gucke unten drunter, kein Etikett.
    »He, schau doch mal.« Ma kniet sich hin.
    Da krabbelt was. Eine Ameise. »Nicht!«, schreie ich und lege meine Hände über sie wie einen Panzer.
    »Was ist denn los?«, fragt Noreen.
    »Bitte, bitte, bitte«, sage ich zu Ma, »nicht die.«
    »Keine Sorge«, sagt sie, »natürlich zerquetsche ich sie nicht.«
    »Versprich es.«
    »Ich verspreche es.«
    Als ich meine

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