Raumfahrergarn
sie finden will. In ihrer ganzen Kindheit konnte ich immer zu Fuß dorthin gehen, wo sie gerade war. Nichts war zu weit weg.« Vor ihrem geistigen Auge sah sie eine Sternkarte der besiedelten Galaxis. Jeder Punkt stand für mindestens eine bewohnte Welt. Es würde Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, um von einem Sonnensystem zum anderen zu reisen und jeden Menschen in jeder Stadt zu fragen. Sie schlang die Arme um sich und fühlte sich klein und hilflos.
Wilkins nickte anerkennend. »Sie haben die erste Schwierigkeit bei einer derartigen Suche begriffen: die Entfernung. Die zweite ist die Zeit. Seit dieser Bericht noch eine Neuigkeit war, ist viel Zeit vergangen. Es wird noch mehr Zeit kosten, um Anfragen zu schicken und Antworten zu erhalten. Sie müssen am anderen Ende der Geschichte anfangen und herausfinden, wo sie gewesen ist. Wo sie aufgewachsen ist, wen sie geheiratet hat und mit wem sie befreundet war. Außerdem dürfte sie in ihrem Leben den einen oder anderen Arbeitgeber gehabt haben. Das könnte Ihnen Hinweise liefern, wo sie jetzt ist.
Um ein Beispiel zu nennen: in welcher Funktion hat sie an dieser planetaren Expedition teilgenommen? Als Siedlerin? Als Fachkraft? Oder als Beobachterin? Die EEC führt Archive. Ihnen ist sicher aufgefallen«, er schaltete den Bildschirm auf seinem Schreibtisch ein und drehte ihn Lunzie zu, »daß auf ihren Namen die beiden Abkürzungen MD und DV folgen.«
Lunzie widmete sich noch einmal der FES-Liste und versuchte, sie nicht als Dokument einer Katastrophe zu betrachten. »MD. Das heißt, sie ist Ärztin. DV …« Lunzie strengte ihr Gedächtnis an. »Das könnte bedeuten, daß sie sich auf Virologie spezialisiert hat.«
»Dann muß sie auch irgendwo an einer Universität studiert haben. Gut. Ich bin mir sicher, Sie hätten sie zu einer akademischen Ausbildung ermutigt. Was hat sie mit ihren Abschlüssen angefangen? Sie haben jetzt einige Hinweise, mit denen Sie arbeiten können, aber es wird viele Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis Sie Antworten erhalten. Das Beste wäre, wenn Sie von einem festen Standort aus arbeiten und Ihre Anfragen herumschicken.«
»Stev Banus hat den Vorschlag gemacht, ich sollte wieder in die Schule gehen und mich auf den neusten Stand bringen.«
»Ein vernünftiger Vorschlag. Wenn Sie es so machen, können Sie gleichzeitig Ihre Suche betreiben. Wenn ein Hinweis nicht weiterführt, gehen Sie einem anderen nach. Bitten Sie jede Agentur um Hilfe, die Ihnen nützlich sein könnte. Machen Sie sich keine Gedanken darum, daß Ihre Anstrengungen dadurch verdoppelt werden. Es kann gut sein, daß einem Unbeteiligten etwas auffällt, das Sie übersehen haben. Und es wird billiger, als wenn Sie sich in ein Schiff setzen und Hinweisen auf eigene Faust nachgehen. Es wird in jedem Fall eine kostspielige Suche, aber so bleiben Sie von der Kleinarbeit verschont und können versuchen, aus den Informationen, die Sie erhalten, Ihre Schlüsse zu ziehen, ohne darüber nachdenken zu müssen, aus welcher Perspektive diese Informationen gewonnen wurden.«
»Ich brauche eine Perspektive. Ich habe mich noch nie mit so umfangreichem Material beschäftigen müssen. Ihr Vater und ich haben regelmäßig miteinander korrespondiert, während sie aufwuchs. Ich habe mir nie Gedanken über die Übertragungszeit zwischen zwei Briefen gemacht, und es hat immer lang gedauert! Es geht schneller, mit FTL zu fliegen, aber wenn ich mir vorstelle, ich würde sie am Ende einer langen Reise doch nicht finden … Fiona ist mir zu wertvoll, als daß ich es mir erlauben würde, nüchtern darüber nachzudenken. Ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte.« Sie stand auf. »Und, Wilkins? Danke, daß Sie nicht angedeutet haben, sie sei vielleicht schon tot.«
»Sie glauben doch nicht, daß sie tot ist. Eines Ihrer Indizien ist Ihr eigener Instinkt. Vertrauen Sie ihm.« Die Ränder des Schnurrbarts hoben sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Viel Glück, Lunzie.«
* * *
Im Kindergarten herrschte ein fröhliches Durcheinander. Kleine Menschen jagten andere Kinder über den gepolsterten Boden, schrien durcheinander, sprangen von Schaumstoffmöbeln herunter und verfehlten nur knapp die beiden Erwachsenen, die in einem der Gesprächsringe hockten und versuchten, ihnen aus dem Weg zu bleiben.
»Vigul!« rief Satia. »Laß Tlinks Tentakel los, dann läßt er auch deine Haare los. Sofort!« Sie klatschte laut in die Hände und ignorierte das enttäuschte ›Mmmmm‹ von
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