Raumschiff der Generationen
Barbaroff hatte seinen Entschluß schnell gefaßt.
»Und wenn es eine Falle ist?« protestierte Anatoli. »Wieso legt ihr den zweiten Teil eigentlich als Hilferuf aus? Ich halte ihn für eine Warnung.«
»Wenn die Fremden in Not sind«, nahm Franka Anatolis Partei, »hätten sie uns das ja klipp und klar mitteilen können. Wozu dann diese mysteriösen Sprüche?«
Thoralf hörte wohl zum ersten Mal Birger herzhaft auflachen. Franka errötete. Dann sagte der Sprachwissenschaftler unvermittelt wieder ernst werdend:
»Erstens, liebe Franka, sind das da drüben keine Menschen. Wie fremdes Leben denkt, fühlt oder handelt, darüber gibt es noch keine Grundlagenforschung. Zweitens bedienen sich die Fremden einer molekularen Kodesprache. Eine solche ist in keiner Weise mit unserer hochkomplizierten, ungemein differenzierten Sprache zu vergleichen, und sie ist auch in diese nicht unmittelbar zu übersetzen. Das Ergebnis, das schließlich vorlag, war ein Haufen psycho-linguistischer Gleichungen mit hohen Toleranzwerten, die nur noch statistisch ausgewertet werden konnten …«
»Das bedeutet wohl«, erkundigte sich Terre mißtrauisch, »daß der Text gar nicht gesichert ist?«
»Der Text ist gesichert!« beruhigte sie Birger. »Nur – er besitzt, wie Sie ja selbst erkannt haben, einen hohen Symbolgehalt. Die Auslegung ist es daher, was uns Schwierigkeiten macht.«
»Ja, und diese Schwierigkeiten werden wir nur an Ort und Stelle lösen können«, meldete sich Thoralf wieder. Energisch fuhr er fort: »Es hat keinen Sinn, daß wir hier untätig herumsitzen. Wir müssen das Geheimnis dieses Schiffes da drüben lösen.«
»Die AN meldet sich«, wurde er von Anatoli unterbrochen.
Die Köpfe wendeten sich dem Schirm zu, der im Direktkanal mit der astronomisch-navigatorischen Abteilung verbunden war. Auf dem Monitor erschien das Gesicht Kare Bwotos. Sie sah erregt aus.
»Die Fremden haben ihren Schutzschirm ausgeschaltet. Ich schalte das Bild durch …«
Im nächsten Augenblick erschien auf einem zweiten Schirm das von den Außenteleskopen aufgefangene Bild des fremden Raumschiffs. Der leichte durch das starke Magnetfeld hervorgerufene Schleier, der solange eine genaue Betrachtung verhindert hatte, war verschwunden. Gestochen scharf und plastisch traten die Röhrensysteme aus der Schwärze des Weltalls heraus.
»Oh …«, machte jemand. Es klang wie ein andächtiger Seufzer. Und in der Tat, dachte Thoralf, es war ein phantastischer Anblick, der sich ihnen bot.
Die Röhren – einige von ihnen waren, wie die Messungen ergeben hatten, fast zwei Kilometer lang und über achtzig Meter dick – waren semitransparent. Sie schienen von innen heraus zu glühen. Da die eigentümliche Durchsichtigkeit des Materials bis weit in den innersten Kern des Schiffes hineinzureichen schien und verschiedene Farben verwendet worden waren, verschmolzen diese zu einem Spektrum zahlloser, bis ins Feinste abgestufter Schattierungen. Das gesamte Schiff rotierte unendlich langsam um seine Vertikalachse. Da der Querschnitt der Röhren verschieden war, kam es zu einem unentwegten Wechsel von Form und Farbe. Der Eindruck dieses sich in gleichsam majestätischer Gelassenheit vollziehenden Farben- und Formenspiels war so überwältigend, daß sich die Menschen in der Zentrale eine Zeitlang schweigend diesem Schauspiel hingaben.
Und sie sahen noch etwas. An einer Stelle bildete sich im Mantel einer rötlich irisierenden Röhre eine kreisrunde Öffnung. Sie besaß – wie die Messungen ergaben – einen Durchmesser von haargenau zwanzig Metern. Als die Öffnung sich direkt dem Nordpol des SCHIFFES gegenüber befand, hob das fremde Raumschiff seine Rotation auf, so daß die Schleuse – um eine solche mußte es sich wohl handeln – dem SCHIFF gegenüber eine stationäre Position einnahm.
»Die Einladung …«, brach Birger schließlich das Schweigen.
Thoralf blickte ihn auf dem Bildschirm an.
»Wir werden ein Einsatzkommando hinüberschicken. Ein Spezialkommando, das für jede mögliche Situation gerüstet sein wird.«
»Ich werde dabeisein!« dröhnte Barbaroff.
Thoralf sah ihn an. »Die Personen, die an der Expedition teilnehmen«, erwiderte er ruhig, »werden von der Elektronik bestimmt werden!«
9.
Das Beiboot schwebte durch den Weltraum. Sein Ziel war der grellweiße Schlund in der rötlich leuchtenden Röhre des fremden Schiffes.
Hinten saß Marc in einem Kontursessel und starrte durch das Panzerglas der Heckkuppel in die Schwärze
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