Raumschiff der Generationen
Sol?«
Der Mikrobiologe wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob dieser Schluß nicht reichlich gewagt ist. Fragen Sie doch erst einmal den Computer!«
Birger hielt ihm die Folie unter die Nase.
»Hm!« machte Sol Jelinek, nachdem er die Symbolgruppen studiert hatte. »Im Wasser befinden sich ausschließlich Amino- und Nukleinsäuren – die Bausteine irdischen Lebens. Das verleiht Ihrer These allerdings schon mehr Gewicht!«
Birger war schon an den Eingabesektor der Elektronik getreten und hatte einige Tastungen vorgenommen. Dann schaltete er den Ausgabesektor auf »Akustik« und wartete.
Augenblicke später tönte es aus der Membrane:
»Die zuletzt eingegebenen Daten erhöhen die Wahrscheinlichkeit der zuvor erstellten These. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 78,7 Prozent stellt der wasserhaltige Teil der Sonde irdisches, der ammoniakhaltige Teil das fremde Leben dar. Empfehlung: Prüfen Sie die Sequenzen der Amino- und Nukleinsäuren. Möglicherweise stellen diese Informationsmuster dar. Ende!«
Die beiden Wissenschaftler sahen sich an.
»Na, dann los!« sagte Birger Hansen.
Es war eine Arbeit, die an den menschlichen Geist höchste Anforderungen stellte. Nach vier Stunden konzentrierter Denkleistungen hatte Birger Hansen es mit Hilfe der Elektronik geschafft. Die atomaren Konfigurationen innerhalb der verschiedenen Säuregruppen waren als Kode identifiziert, dessen symbolischer Informationsgehalt in Klarschrift vor ihm auf dem Monitorschirm stand.
Minutenlang starrte Birger gedankenversunken auf den Text. Sol Jelinek, der hinter ihn getreten war, wagte ihn nicht zu stören, obwohl er brennend gern eine Erläuterung der für ihn höchst rätselhaften Sentenzen erhalten hätte. Dann streckte Birger die Hand aus und rief die Zentrale.
Thoralf erkannte sogleich an dem Gesichtsausdruck des Wissenschaftlers, daß dieser ihm etwas Bedeutsames mitzuteilen oder zu zeigen hatte. Birger schaltete schweigend den Klartext auf einen Bildschirm der Zentrale, und Thoralf und die anderen Anwesenden lasen:
»SEIN wird durch Vereinzelung zu SEIENDEM
SEIENDES gebiert LEBENDES
LEBENDES gebiert SELBSTBETRACHTUNG
SELBSTBETRACHTUNG gebiert MANIPULATION
MANIPULATION gebiert die AUFHEBUNG der Vereinzelung
Dies ist der Erste Kreis
Auch der individuelle Tod hebt die Vereinzelung auf
Dies ist der Zweite Kreis
Aber
Nur LEBENDES kann den Zyklus fortsetzen
Leben endet zuvor
Aber: Lebendes kann Leben helfen!«
Ein paar Augenblicke herrschte tiefes Schweigen. Dann hörte man Franka deSelters hysterisches Auflachen. Anatoli fluchte, und Barbaroff rief dröhnend:
»Sehr tiefsinnig! Ist das nun Hansensche Philosophie oder elektronischer Unsinn? Vielleicht übersetzen Sie uns das Ganze einmal in die Sprache eines Durchschnittsmenschen!«
»Ihre Alternative ›Hansensche Philosophie oder elektronischer Unsinn‹ fasse ich als Kompliment auf, Barbaroff«, Birger neigte ironisch den Kopf.
Maria Munyos sagte gedankenvoll:
»Eine Botschaft … eine Botschaft an uns, vielleicht ein Hilferuf …«
Mount Katz, der sich ebenfalls gerade in der Zentrale aufhielt, meinte:
»Der erste Teil ist klar. Das Sein – hier als Ganzes, als All-Eines gesehen – verliert diese Alleinheit, wird zu Einzelnem, also zu anorganischer Materie. Aus dieser entsteht Leben. Leben wiederum entwickelt Bewußtsein – die Fremden nennen es ›Selbstbetrachtung‹; denn im Bewußtsein schafft sich das Sein, oder auch das Leben, das Instrument, sich selbst zu betrachten und – schließlich auch – sich selbst zu manipulieren. Nur – wieso bewirkt Manipulation die Aufhebung der Vereinzelung? Damit ist doch gemeint, daß, wenn Lebewesen zu manipulieren anfangen, dies zur Auflösung des Lebens, beziehungsweise des Seins überhaupt führt. Warum?«
»Vielleicht werden wir dies begreifen, wenn wir wissen, was die Fremden unter dem Unterschied zwischen Leben und Lebendem verstehen«, überlegte Birger.
»Der Unterschied ist generell der gleiche wie zwischen Sein und Seiendem «, behauptete Terre. » Leben ist die Gesamtheit allen Lebens im Kosmos, Lebendes dagegen ist individuelles Leben, also die verschiedenen Lebensformen .«
Thoralf, der die ganze Zeit vor sich hin gebrütet hatte, sagte: »Mounts Auslegung ist ganz sicher richtig, und auch Terres Definition mag stimmen. Ich glaube aber, im Augenblick ist für uns der zweite Teil der Botschaft wichtiger. Und ich muß gestehen, ich glaube auch, es ist ein Hilferuf.«
»Also fahren wir ’rüber.«
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