Raumstation Erde
ob ihm irgendwo ein Fehler unterlaufen war. Hatte er durch Verschieben und Ersetzen das System in den Grundlagen angegriffen? Und wenn es so war, konnte er die Fehler ausmerzen?
Hier sind die Faktoren, dachte er: Geburtenrate, Gesamtbevölkerung der Erde, Todesziffer, Währungswerte, Kosten des Lebensunterhalts, Teilnahme an Gottesdiensten, medizinische Fortschritte, technische Entwicklung, Industrieindices, Arbeitsmarkt, Welthandeltrends - und viele andere, die auf den ersten Blick nicht hineinzupassen schienen: Preise bei Kunstauktionen, Urlaubsziele, Transportgeschwindigkeiten, Prozentzahlen der Geisteskranken.
Die von den Mathematikern auf Mizar entworfene statistische Methode mußte überall funktionieren, vorausgesetzt, daß sie richtig angewandt wurde. Aber bei der Übertragung der Lage eines fremden Planeten auf die Erde war er zu Veränderungen gezwungen worden - galt das Ergebnis dann immer noch?
Es fröstelte ihn, als er das Diagramm betrachtete. Wenn er keinen Fehler gemacht, wenn er die Konzeption durch die Veränderungen nicht gestört hatte, war die Erde auf dem Weg zu einem neuen großen Kriege, zu einem Orkan atomarer Vernichtung.
Er ließ die Ecken des Blattes los, und es rollte sich zu einem Zylinder zusammen.
Er griff nach einer Frucht, die das Wesen von Sirrah mitgebracht hatte, und biß hinein. Sie schmeckte wunderbar.
Früher hatte er die Hoffnung gehegt, die Berechnung könne, wenn nicht einen Weg zur Beendigung aller Kriege, so doch eine Möglichkeit zeigen, den Frieden zu bewahren. Aber Hinweise darauf hatte er dem Diagramm nie entnehmen können. Es zeigte kalt und brutal den Weg zum Krieg.
Wie viele Kriege konnte die Menschheit noch ertragen?
Niemand vermochte das zu sagen, aber vielleicht genügte schon ein einziger. Die Waffen für den künftigen Konflikt waren noch nie angewendet worden, und kein Mensch vermochte ihre Wirkung genau zu beurteilen.
Krieg war schon schlimm genug gewesen, als sich die Menschen mit den Waffen in der Hand gegenüberstanden, aber in jeder künftigen Auseinandersetzung würde die Vernichtung durch den Himmel rasen, um ganze Städte zu verschlingen - gezielt nicht auf militärische Stützpunkte, sondern auf ganze Bevölkerungen.
Er griff wieder nach dem Diagramm, ließ die Hand sinken. Es hatte keinen Sinn mehr. Er kannte es auswendig.
Es war hoffnungslos. Die Welt raste in einem Nebel der Wut und der Hilflosigkeit das Gefälle zum Krieg hinab.
Er aß weiter, und die Frucht schmeckte noch besser als beim ersten Bissen. »Das nächstemal bringe ich mehr mit«, hatte das Wesen gesagt. Aber es konnte lange dauern, bis es wieder erschien, vielleicht kam es nie mehr. Viele kamen nur einmal vorbei, einige aber auch fast jede Woche - Reisende, die zu engen Freunden geworden waren.
Da war die kleine Gruppe von Hazers gewesen, erinnerte er sich, die vor Jahren vereinbart hatte, daß sie längere Zeit in der Station an seinem Tisch sitzen und stundenlang plaudern konnte, beladen mit Speisen und Getränken, wie bei einem Picknick.
Aber sie waren schließlich doch ausgeblieben, und er hatte seit Jahren keinen mehr davon gesehen. Das tat ihm leid, denn sie waren gute Gesellschafter gewesen.
Er trank eine zweite Tasse Kaffee, saß müßig im Sessel und dachte an die gute alte Zeit.
Er hörte ein leises Rauschen, hob schnell den Kopf und sah sie auf dem Sofa sitzen, gekleidet in die sittsame Tracht der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.
»Mary!« sagte er überrascht und stand auf.
Sie lächelte ihn an, und sie war schön wie keine andere Frau auf der Welt.
»Mary«, sagte er, »wie schön, daß du da bist.«
Und am Kamin, in der blauen Uniform, mit Säbel und Schnurrbart, lehnte ein anderer seiner Freunde.
»Hallo, Enoch«, sagte David Ransome. »Hoffentlich stören wir dich nicht.«
»Ihr stört nie«, sagte Enoch. »Wie sollten zwei Freunde stören?«
Er stand neben dem Tisch, und die Vergangenheit war mit ihm, die gute, friedliche Vergangenheit, die rosenzarte, unvergeßliche Vergangenheit.
Er ging durch das Zimmer zum Sofa und machte Mary eine kleine Verbeugung.
»Mit Ihrer Erlaubnis, Madam«, sagte er.
»Bitte. Wenn du zu tun hast.«
»Gar nicht«, meinte er. »Ich hoffte, daß ihr kommen würdet.«
Er setzte sich aufs Sofa, nicht allzu nahe neben sie, und sah, daß sie die Hände im Schoß gefaltet hatte. Er wollte ihre Hände in die seinen nehmen und sie für eine Weile halten, aber er wußte, daß das nicht ging.
Denn sie war nicht
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