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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem Mal war Raven jetzt wirklich ganz Ohr. Er packte Hillary an den Schultern, schob sie auf Armeslänge von sich und starrte ihr in das mondbleiche Gesicht, als könne er darin schon vorab lesen, was sie ihm berichten wollte.
    »Dann sollten wir uns wirklich so rasch wie möglich treffen«, sagte er, plötzlich sehr ernst werdend. »Wo würden Sie vorschlagen?«
    »Es gibt da eine neue Discothek, The Cube«, erläuterte die Achtzehnjährige. Sie hielt eine Art Visitenkarte hoch, und instinktiv ließ Raven ihre Schulter los und griff danach. »Das ist die Adresse«, fuhr Hillary fort. »Ich werde um 24 Uhr dort sein. Berufen Sie sich am Einlass auf mich, sonst kommen Sie nicht hinein.«
    Und mit diesen Worten war sie auch schon an ihm vorbeigeschlüpft und in den allgegenwärtigen Schatten verschwunden.
    Mit einem nachdenklichen Kopfschütteln ging Raven zum Weg zurück und machte sich wieder auf in Richtung Tor. Das kleine weiße Rechteck der Visitenkarte schien wie ein Bleigewicht in seiner Jackentasche zu ruhen. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass dies noch eine lange, aufreibende Nacht werden würde.
    Eines allerdings tröstete ihn ein wenig.
    Denn immerhin blieb ihm bis Mitternacht noch genügend Zeit, ein leckeres Chop Suey zu verspeisen.
    Als das Telefon klingelte, befand sich Janice Land gerade auf der Grenze zwischen Traum und Wachen, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich entschieden hatte, welchem dieser beiden Reiche das hässliche Schrillen angehörte. Dann aber schwang sie sehr rasch die Beine aus dem Bett und tappte auf bloßen Füßen zum Telefon.
    Verschlafen führte sie den Hörer ans Ohr, ein Gähnen unterdrückend. »Ja?«
    »Miss Land?« Eine eifrige junge Stimme.
    »Am Apparat.«
    »Ich bin's - Clive, der Nachtportier. Hier ist eine Dame, die Sie unbedingt sprechen möchte.«
    Diesmal unterdrückte Janice das Gähnen gar nicht erst. »Um diese Zeit? Wie viel Uhr haben wir denn überhaupt?«
    »Kurz vor elf. Aber es scheint sehr wichtig zu sein.« Ein kurzes Zögern, dann: »Ich glaube, es handelt sich um eine Klientin.«
    Ebenso wie jeder andere Bedienstete hier im Haus wusste natürlich auch der Nachtportier Clive um die prekäre finanzielle Situation, in der sich Raven und Janice Land, seine Verlobte und Assistentin, ständig befanden. Allein die wiederholten Besuche des Gerichtsvollziehers Hanson in den letzten Monaten hatten im Haus für eine Menge Gesprächsstoff gesorgt. Während sich die anderen Mieter aber bloß die Mäuler zerrissen, standen die Bediensteten voll auf Ravens und Janice Lands Seite. Schließlich gehörten auch sie eher zu den wirtschaftlich Unterprivilegierten in diesem Land.
    »Moment mal«, sagte Janice müde. Dann deckte sie die Sprechmuschel mit der flachen Hand ab, drehte sich zum Bett herum und verkündete laut: »Raven - Clive ist am Apparat. Unten wartet eine Klientin, die dich sehr dringend sprechen möchte. Soll er sie raufschicken?«
    Keine Reaktion.
    Janice runzelte die Stirn. Wenn sie es recht bedachte, vermochte sie nicht einmal ein Atemgeräusch aus der Richtung des Betts zu vernehmen. Mit einem unterdrückten Fluch stolperte sie zum Bett zurück, das Telefon in der Hand, und knipste die Nachttischlampe an.
    Die andere Hälfte des Doppelbetts war leer, und der unberührte Zustand der Decke sagte ihr überdeutlich, dass hier heute Nacht noch niemand geschlafen hatte.
    Instinktiv war sie davon ausgegangen, dass Raven während der Stunde, die sie vor dem Anruf schon geschlafen haben mochte, nach Hause gekommen war, aber darin hatte sie sich offensichtlich getäuscht. Jetzt erst begriff sie, warum ihr Schlaf so unruhig gewesen war und warum sie auch ohne das Klingeln des Telefons beinahe aufgewacht wäre: Ihr Unterbewusstsein hatte die Abwesenheit Ravens gespürt und begonnen, sich Sorgen zu machen, obwohl das eigentlich völlig unnötig war. Immerhin war Raven an diesem Abend Gast im Hause von Sir Anthony Gifford, und dort konnte ihm ja wohl kaum etwas passieren.
    Dass es allerdings so spät werden würde ...
    Mit einer unwilligen Bewegung hob sie den Hörer zurück ans Ohr. Wenn Raven nicht da war, dann musste eben sie die Klientin empfangen, auch wenn sie absolut keine Lust dazu verspürte. Trotz des fürstlichen Honorars, mit dem sich Jeff Target für Ravens Dienste in Stonehenge bedankt hatte, waren ihre Finanzmittel immer noch äußerst knapp. Schließlich hatte Raven aufgrund der Gehirnerschütterung, die er sich bei dem Kampf mit Barlaam

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