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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Tiefe, rettet mich!
    EIN KERKER FÜR DEINE SEELE - IN ALLE EWIGKEIT ...
    Dem Irrsinn nahe, sah er mit flackernden Augen, wie der Dämonenfürst einen zweiten Tentakel hob und ihn behutsam in die Kristallstirn des Schädels versenkte.
    In den Randzonen seines Ichs begannen Dämme zu brechen, Gedanken zu fließen. Er spürte, wie er rasend schnell aus sich selbst herausströmte, sich selbst als leeres Gefäß zurückließ und in den kristallenen Schädel hinüberschwappte. Sein Geist, seine Seele, sein Ich bäumte sich auf, wehrte sich wimmernd dagegen, in neue, diamantharte Bahnen gezwungen zu werden.
    UNSTERBLICHKEIT, hallte die Stimme des Thul Saduum. WAR DAS NICHT EINES JENER ZIELE, DIE DU ERREICHEN WOLLTEST, ALS DU UNS BESCHWOREN HAST?
    Jetzt war er nur noch ein einziger Schrei, roh und zerfetzt von dem Sturz durch den Mahlstrom, dem gewaltsamen Wechsel in das andere, beängstigend fremde Gefäß. Er schluchzte, lallte und kicherte irr - glaubte zu schluchzen, zu lallen, zu kichern. In Wirklichkeit blieb der kristallene Mund stumm.
    Stumm auf ewig.
    Einsam auf ewig.
    ACH, DAS FURCHTEST DU, KLEINER MENSCH? DA KANN ICH DICH BERUHIGEN. ES GIBT NOCH DREI ANDERE WIE DICH, JENE GEHILFEN, DIE WIR ZUSAMMEN MIT DIR IN DER GRUBE VON GUNTH EINFINGEN. DU MUSST BLOSS LERNEN, DIE MÖGLICHKEITEN DES SCHÄDELS ZU NUTZEN, DANN KANNST DU DICH MIT IHNEN UNTERHALTEN. DAS HEISST, WENN DU SIE FINDEST. WIR WERDEN EUCH ÜBER DIE WELT VERSTREUEN, IN EINER ZEIT, DA MARONAR SEIT MILLIARDEN VON JAHREN NUR NOCH LEGENDE IST. WIE GEFÄLLT DIR DAS, KLEINER MENSCH? WIE GEFÄLLT DIR DAS, KLEINER MENSCH? WIE GEFÄLLT DIR DAS, KLEINER MENSCH? WIE GEFÄLLT ...
    Mit einem entsetzlichen Aufschrei erwachte Sören Andersson aus seinen Träumen. Ruckartig fuhr er auf, strampelte die Decke zurück und blickte sich desorientiert um. Seine fiebrig glänzenden Augen blinzelten in das gelbe Licht der Lampe auf dem Nachttisch neben dem Bett.
    Draußen peitschte der Wind die Äste der großen Ulme mit monotonem Klick-klick-klick gegen die trüben Fensterscheiben. Die Lampe flackerte und warf formlose Schatten gegen die geweißten Wände des Zimmers. Sören erschauerte und ließ sich aufseufzend in die Kissen zurücksinken, lag dann stumm da und lauschte.
    Nichts. Die beiden Menschen, die er seine Eltern nannte, regten sich nicht. Sie hatten den Schrei nicht gehört. Die Wände des Holzhauses, das sein Vater mit eigenen Händen errichtet hatte, waren solide gebaut.
    Sören biss trotzig die Zähne zusammen. Er musste sich stets daran erinnern, dass dieser Mann nicht sein Vater war, auch wenn er und die Nachbarn es ihm immer wieder versicherten. Inzwischen hatte er gelernt, die Wahrheit nicht mehr laut auszusprechen, aber das änderte natürlich nichts an den Tatsachen. Er tat es bloß nicht, damit nicht ein Arzt kam und ihn untersuchte. Und damit die Nachbarn sich nicht die Mäuler zerrissen.
    Sonst waren die Nachbarn eigentlich ganz in Ordnung. Als seine Eltern - diesmal gestattete er sich der Kürze halber, bei diesem Ausdruck zu bleiben - von Stockholm hierher in die Provinz Skåne gekommen waren, hatten die Alteingesessenen den etwas ratlosen Städtern geholfen, ihr Haus zu errichten und Feld und Garten zu bestellen. Derweil spielten ihre Kinder mit dem kleinen plappernden Etwas, das Sören hieß und gerade ein Jahr alt war. Wie man ihm erzählt hatte, war er damals ein sehr ruhiges Kind gewesen, das nur selten schrie und weinte.
    Aber da hatte er auch noch nicht des Nachts geträumt. Und die Wahrheit über seine Herkunft hatte er auch noch nicht gekannt. Das alles war erst später gekommen.
    Jetzt war er acht Jahre alt - und durchlebte Nacht für Nacht die Hölle. Deshalb hatten ihm seine Eltern auch die Lampe in sein Zimmer gestellt, die wegen der häufigen Spannungsschwankungen nur unregelmäßiges Licht spendete. Der Winkel Skånes, in dem die Anderssons wohnten, war weit von Stockholm entfernt.
    Nicht, dass die Lampe etwas nützte. Die Träume ließen sich dadurch nicht abstellen. Sie half Sören höchstens ein bisschen, sich rascher zu orientieren und in die normale Welt zurückzufinden, wenn er vom Grauen geschüttelt wurde und schweißüberströmt aufwachte.
    Mit einem entschlossenen Ruck setzte sich Sören auf. Er musste etwas gegen seine Träume tun, das wusste er. Tagsüber war er manchmal so müde, dass er in der Schulbank einnickte oder im Garten hinter dem Holunderbusch einschlief, statt das Unkraut zu jäten. Zusammen mit seiner Blässe und den

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