Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
viel war es nicht gewesen. Er hatte sich als zu schwach erwiesen, die Schädel selbst zu vernichten, doch immerhin hatte er ihnen - Raven und Melissa - aus der Sphäre zwischen Leben und Tod noch einen wichtigen Hinweis darauf übermittelt, wie sich das anstellen ließ.
Wenn, dachte Raven verbittert, wir den Hinweis erst einmal verstehen. Und wenn wir die vier Schädel überhaupt finden und mit ihnen die Menschen, die sie jetzt als ihr Werkzeug benutzen ...
Ihn schauderte. Über welche Macht mochten die Schädel inzwischen verfügen, jetzt, da sie alle vier vereint waren? Besser, er dachte vorläufig gar nicht erst darüber nach ...
Voll düsterer Fantasien schlurfte er hinüber zur schluchzenden Melissa und hockte sich müde neben ihr nieder, den Arm beschützend um sie gelegt.
So saßen sie immer noch, als irgendwann später die anderen kamen ...
Zweiter Teil
DER MAGIER
VON MARONAR
Ü ber seinem Kopf drängten sich die Sterne, rings um ihn aber war nur grenzenlose Schwärze.
Der Meistermagier von Maronar stand in einer Säule aus ewiger Nacht, reglos, stumm und wie betäubt. Er wusste nicht, was jenseits dieser Nacht war, wusste auch nicht, wie lange sie ihn schon umhüllte. Waren es Stunden oder Tage, Jahre oder Jahrmillionen? Das Blinzeln, mit dem er jetzt seine Lider oder die Augäpfel senkte, mochte Äonen dauern. Als sich die Lider wieder hoben, mochte draußen, hinter der Wand aus Nacht, Maronar schon längst vergangen und vergessen sein.
Maronar, die Magierwelt. Maronar, das Land, über das er selbst Tod und Vernichtung gebracht hatte, als er in einem blutigen Ritual die dämonischen Thul Saduum beschwor.
Der Gedanke an die verhassten Feinde ließ das Blut schneller durch seine Adern fließen. In seinen matten Augen glomm bernsteingelb ein Funke auf, ein schwacher Abglanz jenes Feuers, das in ihnen gebrannt hatte, als er noch auf dem Höhepunkt der Macht gewesen war - der Hohepriester jener in der Tiefe. Wenn es etwas gab, wonach er sich sehnte, dann war das, seinen Fehler zu korrigieren und die Thul Saduum dahin zurückzuschicken, wo sie hergekommen waren - in die tiefsten Tiefen der Hölle.
Aber das war bloßes Wunschdenken. Er wusste ja nicht einmal, was er falsch gemacht hatte, dass seine Beschwörung auf so verhängnisvolle Weise scheiterte. Die Thul Saduum hätten willige Diener sein müssen, Sklaven aus dem Dämonenreich, die ihm Macht verliehen und die Geheimnisse des Jenseits offenbarten. Stattdessen waren sie zur Geißel Maronars geworden.
Verzweifelt fragte er sich, wo er versagt haben mochte. Hatte er die Götter unter dem Tempelberg beleidigt, dass sie sich von ihm abwandten, von ihm und Maronar, dem Land des Feuers und der Leichter-als-Luft? Hatte er vielleicht die Opferrituale nicht mit der nötigen Inbrunst ausgeführt, nicht genug Sklaven aus den Vasallenreichen entseelt und in den Abgrund hinuntergestoßen?
Oder - was am wahrscheinlichsten war - hatte er die Sonnenfackeln falsch gedeutet, als er aus ihnen wie vorher schon aus den Eingeweiden hingeschlachteter Sklaven las, dass die Zeit reif sei, das Schwarze Tor zu öffnen?
Das Schwarze Tor ...
Ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle, der erste Laut, der seit Beginn der Einkerkerung über seine Lippen kam. Vor seinem inneren Auge war wieder das verfluchte Bild erschienen, das er seit damals zu verdrängen suchte:
Ein Tor mit Säulen aus Feuer, schwebend über der Landschaft, ein Tor, in dem es nachtschwarz zuckt und wallt, ein Tor, das den Tod über Maronar speit: Albtraumgeschöpfe von jenseits der Hölle, Dämonen mit geifernden Schnäbeln und peitschendünnen Tentakeln, die Verderben und Untergang über das Volk der Magier bringen.
Das Bild war so klar und scharf wie am ersten Tag, und der Meistermagier wusste, dass es niemals verblassen würde. Ein magischer Einfluss der Thul Saduum, um Grauen unter ihren Feinden zu verbreiten? Es musste so sein, denn der Tag, an dem er das Schwarze Loch geöffnet hatte, lag tausend Jahre zurück - tausend Jahre und die Zeit, die er nun in der Säule aus ewiger Nacht zugebracht hatte. Keine natürliche, von Magie unbeeinflusste Erinnerung blieb so lange frisch.
Grauen verbreiten, o ja, das konnten die Thul Saduum! Der Meistermagier legte den Kopf zu einem lautlosen, bitteren Lachen in den Nacken und spürte dabei die Leere auf seinen Schultern, wo vor Beginn der Einkerkerung die Chimoi angewachsen gewesen war, der lebende Mantel, der ihn während der Opferungen im
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