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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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den Boden gestemmten Beinen dastand, obwohl die Vibrationen längst nachgelassen hatten. »Den Chef, verstehst du? Den Chef.«
    Ja, Chef, das verstand Rolf sehr wohl, weil es dieses Wort auch im Schwedischen gab. Den Rest konnte er sich zusammenreimen. Er nickte benommen, drehte sich um und stürzte zur Treppe. Mit seinen langen Beinen nahm er immer gleich drei Stufen auf einmal. Gleich darauf hatte er die schmale Galerie erreicht, die die Halle im zweiten Stock umlief, und war in den Korridor abgebogen, der zu den Wohnräumen des Chefs führte.
    Harald Münzschläger hatte keineswegs aus purer Menschenfreundlichkeit gehandelt, als er Rolf losschickte, um den Chef zu holen. Er war sich vielmehr sehr wohl der Tatsache bewusst, dass der Chef vielleicht der einzige Mensch auf der ganzen Welt war, der etwas gegen die Kristallschädel auszurichten vermochte. Immerhin war er es ja gewesen, der ihn und Roscoe Smith beauftragt hatte, die Schädel zusammenzustehlen. Dahinter musste ein vermutlich profitträchtiger Plan stecken, und das wiederum hieß, dass der Chef eine Menge über die Schädel und die Macht, die in ihnen steckte, wusste. Besaß er aber auch ein Mittel, diese Macht zu kontrollieren?
    Nun, das würde sich zeigen. Im Moment war es wichtiger, einen Ausweg aus dem Haus frei zu machen.
    Münzschläger wandte sich wieder dem Fenster zu, hob die Faust, um die Scheibe einzuschlagen - und erstarrte.
    Das, was er sah, ließ seinen Verstand revoltieren. Er stöhnte, machte einen Schritt zurück und musste sich zwingen, seinen Blick wieder auf das Fenster zu richten.
    Der schwarze, rußartige Film, der die Scheibe nach der Berührung durch die immateriellen Rauchfinger überzogen hatte, war nicht länger stumpf, sondern klar wie ein Spiegel. Das war auch fast die einzige Ähnlichkeit, die diese seltsam veränderte Scheibe mit einem Spiegel hatte. Zwar ließ sich in ihren Tiefen ganz deutlich ein Bild der Halle erkennen, aber es war eben gerade nicht jenes Bild, das ein gewöhnlicher Spiegel zurückgeworfen hätte.
    In einem gewöhnlichen Spiegel sieht man sich selbst seitenverkehrt im Vordergrund. Tiefer im Bild - entlang zentralperspektivischer Fluchtlinien maßstäblich zur Entfernung verkleinert - erscheint das, was sich hinter dem Rücken des Beobachters sonst noch im Raum befindet.
    Das schwarz überzogene Fenster lieferte ein völlig anderes Bild. Harald Münzschläger war es, als stehe er körperlich acht oder zehn Schritte hinter sich und schaute von dort aus in die Halle hinein. Im Vordergrund des Bildes war die liegende, sich windende Gestalt von Roscoe Smith. Ganz weit im Hintergrund erkannte er eine zweite Figur, die vor dem Fenster stand und dem Inneren der Halle den Rücken zukehrte.
    Diese zweite Figur war er selbst.
    Und in den Tiefen des Fensters, vor dem diese Figur stand, war eine zweite Halle sichtbar, mit Roscoe Smith im Vordergrund und ihm selbst im Hintergrund, an einem weiteren Fenster stehend. Darin wiederum ...
    Ein eisiger Schauer kroch Harald Münzschläger den Nacken hoch. Er war in mancher Hinsicht kein sehr gebildeter Mann, aber seine Leidenschaft für elektronische Anlagen hatte es mit sich gebracht, dass er sich punktuell auch mit Fragen der theoretischen Physik beschäftigt hatte. Daher vermochte er sich, wenngleich äußerst vage, vorzustellen, was eine Raum-Zeit-Verwerfung war.
    Er hatte Recht gehabt. Die Magier von Maronar hatten das Herrenhaus hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt - hermetischer, als ein menschlicher Geist es erfassen konnte. Sie alle - er, Roscoe, Rolf, der Chef und wer sich sonst im Haus noch aufhielt - waren gefangen, beinahe wie Spiegelbilder in den Wänden eines Spiegelkabinetts. Die Kristallschädel konnten nach Belieben über sie verfügen. Sie waren ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert - wenn der Chef sie nicht vor ihrer Macht bewahrte.
    Harald Münzschläger starrte benommen, entsetzt und fasziniert zugleich in die Scheibe. Von welchem Punkt aus nahm diese Pseudo-Spiegelung ihren Anfang? Wer oder was war der Fokus, der, durch dessen Augen er zu sehen meinte, wenn er in das Fenster schaute? Ein bloßer imaginärer Punkt im Raum? Oder - einer der Magier?
    Er überlegte. Die Position jenes Beobachters war etwa die, die ein Mann hätte einnehmen müssen, der unmittelbar vor der Tür des Arbeitszimmers stand, aus dessen Ritzen der geisterhafte schwarze Rauch gequollen war ...
    Mit einem Mal bewegte sich das Bild.
    Es schwankte, stabilisierte sich dann

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