Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
wieder. Schwankte erneut. Stabilisierte sich noch einmal.
Die Figuren in der Scheibe - er selbst und Roscoe Smith - waren jetzt deutlich näher ...
Es konnte keinen Zweifel geben: Der selbst nicht sichtbare Beobachter hatte zwei Schritte gemacht - zwei Schritte auf ihn zu!
Der eisig kalte Schauer in seinem Nacken wurde stärker, und Harald Münzschläger begann, am ganzen Leib zu zittern.
So grässlich es auch war, dem unheimlichen Beobachter ins Gesicht zu schauen - viel grässlicher noch war es, ihm weiterhin den Rücken zuzukehren. Wenn er sich jetzt nicht umdrehte, würde er im nächsten Augenblick zu schreien beginnen und nie mehr damit aufhören.
Er nahm alle seine Energie zusammen und tat es.
Die Tür zum Arbeitszimmer stand weit offen. Unter dem Türrahmen hervor drang ein irreal flackerndes, albtraumhaftes Licht, vor dessen Gleißen sich die Gestalt eines Mannes abzeichnete. Harald Münzschlägers Augen benötigten ein paar Sekunden, um sich an die Helligkeit anzupassen, die die Gestalt beinahe überstrahlte. Dann erst vermochte er sie zu erkennen.
Und als er sie erkannte, ließ er alle Hoffnung sinken. Wir sind verloren, flüsterte etwas in seinem Inneren. Wir werden alle Opfer dieser Schädel werden - hilflose Opfer.
Der Mann, der aus dem Arbeitszimmer getreten war und der auf magische Weise das Zentrum der Raum-Zeit-Verwerfung, den Mittelpunkt all dieses Grauens darstellte, war niemand anderes als der Chef - der Mann, der der Einzige gewesen wäre, der sie vielleicht noch vor den Magiern von Maronar hätte retten können.
Stattdessen hatte er sich die ganze Zeit bei den Kristallschädeln aufgehalten und sie bei ihrem Tun unterstützt. Und nicht nur das. Er hatte sogar ihre Macht auf sich selbst fokussiert, war zu ihrem Brennpunkt geworden!
Harald Münzschläger, der 192 Zentimeter große und zweidreiviertel Zentner schwere Hüne, begann zu weinen wie ein kleines Kind. Sein letzter Rest von Widerstandskraft schwand.
Durch die Tränen hindurch sah er, wie der Chef die linke Hand hob und eine herrische kleine Geste vollführte. Münzschlägers Füße setzten sich wie von selbst in Bewegung, und willenlos stolperte er vorwärts, auf die Tür zum Arbeitszimmer zu.
Er kannte dieses entsetzliche Gefühl der vollkommenen Willenlosigkeit sehr gut. Der Bann, den der Chef über ihn geworfen hatte, war derselbe, unter dem er schon auf dem Weg von Paris nach Godsby gestanden hatte.
Wie stark dieser Bann war, wurde daraus ersichtlich, dass der wortlose Befehl offenbar auch bis zu dem sich immer noch vor Schmerzen am Boden windenden Roscoe Smith durchgedrungen war, denn auch dieser erhob sich nun auf Hände und Knie und kroch neben Harald Münzschläger her, hinein in das irreale Flackern und Gleißen der neuen Hexenküche der Magier von Maronar. Harald Münzschläger schenkte ihm jedoch kaum Beachtung. Er hatte nur Augen für das, was ihn in dem von wabernden Lichterscheinungen durchdrungenen Arbeitszimmer erwartete.
Der Anblick war albtraumhaft und atemberaubend zugleich.
Bei dem Raum handelte es sich um eine Art Bibliothek, aber der sonst wohl in der Mitte aufgestellte Schreibtisch, auf dessen Platte komplizierte elektronische Apparaturen standen, deren Sinn und Zweck Harald Münzschläger auf den ersten Blick nicht zu durchschauen vermochte, war zur Seite gerückt worden, um Platz zu schaffen. Ungefähr auf Augenhöhe schwebten dort die vier Kristallschädel frei in der Luft - über vier von den fünf Zacken eines mit roter Kreide auf den Dielenboden gemalten Pentagramms. Die fünfte Zacke war unbesetzt, und Harald Münzschläger begriff sofort, dass bei den Ritualen, die diese böse Macht noch auszuführen gedachte, der Chef dort stehen würde.
Der Chef, der fünfte Magier!
Das Zweite, was seinen Blick fesselte, war das riesige Buntglasfenster im Hintergrund des Raumes, das beinahe die ganze Rückwand einnahm. Das Mondlicht, das direkt durch die mosaikartig zusammengesetzten Teile fiel, enthüllte ein Bild von unirdischer Schönheit und Bedrohlichkeit.
Harald Münzschläger glaubte, die Abbildung eines gewaltigen Vulkankraters oder Abgrundes zu erkennen, in dessen Tiefen es merkwürdig irrlichterte. Über dem Abgrund tanzten wie winzige Glühwürmchen menschenähnliche Gestalten, in wehende Umhänge gehüllt, die fast wie hauchdünne Flügel wirkten. Das Mosaik hatte bedrückende Ähnlichkeiten mit einem jener Traumbilder, an denen Harald Münzschläger und Roscoe Smith während der Reise nach
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