Raven - Schattenreiter (6 Romane)
schmale Gesicht mit den hoch angesetzten Wangenknochen und dem dünnen, zusammengepressten Mund, das bizarr geformte Halbvisier des Helms, das der Erscheinung etwas Reptilhaftes verlieh.
Der Reiter hielt an. Das Pferd scheute, tänzelte nervös auf der Stelle und warf den Kopf in den Nacken. Slade konnte erkennen, dass sein Hals von kleinen sechseckigen Panzerplatten bedeckt war. Aus dem Oberkiefer ragten zwei lange, nach innen gebogene Reißzähne.
Die seltsame Lähmung, die von seinem Körper Besitz ergriffen hatte, verschwand. Er konnte die Kamera sinken lassen und sich entspannen.
Der Reiter sagte irgendetwas in einer dunklen, guttural klingenden Sprache, die Slade nicht verstand. Aber der Betonung nach musste es eine Frage sein.
Slade stand auf, legte die Kamera vor sich auf die Motorhaube des Jaguars und schluckte krampfhaft. Die riesige schwarze Gestalt flößte ihm Furcht ein.
»Ich - ich verstehe Sie nicht«, sagte er mühsam.
Der Reiter machte eine herrische Geste und deutete auf die Kamera.
Slade schüttelte den Kopf. »Sie wollen den Apparat?«, fragte er.
Irgendetwas im Gesicht des Schattenreiters veränderte sich. Der Blick seiner Augen wurde lauernd. Slade hatte plötzlich das Gefühl, einer Schlange im Körper eines Menschen gegenüberzustehen. Er griff impulsiv nach der Kamera und presste sie an sich.
Der Reiter schwang sich mit einer fließenden Bewegung aus dem Sattel seines Tieres und kam auf Slade zu. Seine Hand war auffordernd ausgestreckt, während die andere wie zufällig auf dem Griff des Krummsäbels ruhte, der in einer Scheide von seinem Gürtel baumelte.
Slade schüttelte trotzig den Kopf, trat einen weiteren Schritt zurück und sah sich nach einem möglichen Fluchtweg um. Das Plateau wurde an drei Seiten von der Felskante begrenzt. Die einzige Richtung, in der er hätte entkommen können, wäre direkt nach vorne, an dem Schattenreiter und seinem seltsamen Tier vorbei.
Slades Herz begann zu klopfen. Er konnte nicht viel weiter zurückweichen, ohne der Felskante gefährlich nahe zu kommen. Und er konnte auch nicht mehr nach vorne. Der Schattenmann hatte den Wagen erreicht und war stehen geblieben. Seine Waffe glitt mit leisem, metallischem Schaben aus der Scheide.
Slade schluckte trocken. Die Situation war derart aberwitzig, dass er eigentlich viel zu verblüfft war, um wirklich Angst zu haben.
Er sah die Bewegung beinahe zu spät. Der Arm des Schattenreiters sauste herunter. Der Säbel schnitt einen blitzenden Halbkreis durch die Luft, zischte knapp vor Slades Gesicht entlang und krachte in das Dach des Jaguars. Slade sprang überrascht zurück, verlor das Gleichgewicht und hing eine halbe Sekunde lang mit wild rudernden Armen in der Luft, ehe er sich nach vorne werfen konnte. Die Kamera entglitt seinen Fingern, prallte auf den Boden und rollte langsam auf die Felskante zu.
Slade stemmte sich mühsam auf Hände und Knie hoch. Die Gestalt des Schattenreiters ragte riesig und drohend über ihm empor. Slades Blick saugte sich an der messerscharfen Klinge des Säbels fest. Seine Augen weiteten sich entsetzt, und aus seiner Kehle drang ein verzweifeltes, halb ersticktes Keuchen.
Er wusste, dass er jetzt sterben würde.
Aber seltsamerweise zögerte der Dämon zuzuschlagen. Der Säbel verharrte reglos in der Luft, und auf dem dunklen Gesicht zeichnete sich eine ganze Skala widersprüchlicher Gefühle ab.
Schließlich, nach einer Ewigkeit, sank die tödliche Waffe herunter. Die Gestalt des Schattenreiters erschlaffte.
Dann drehte er sich herum, senkte den Kopf und ging mit hängenden Schultern zu seinem Tier zurück.
Das Pferd wieherte unruhig, als sich sein Herr in den Sattel schwang.
Slade stemmte sich verblüfft hoch. Er begriff nicht so recht, warum er noch lebte. Es war fast, als hätte der Schattenreiter Mitleid mit ihm gehabt!
Der Blick des Unheimlichen richtete sich noch einmal auf Slade. Aber diesmal war keine Mordlust mehr darin. Das Einzige, was Slade zu spüren glaubte, war so etwas wie Schuldbewusstsein - Trauer vielleicht.
Dann riss der Reiter sein Pferd herum, presste ihm die Knie in die Flanken und galoppierte davon.
Raven trat aus dem Café auf die Straße hinaus, verbarg die Hände in den Jackentaschen und ging zu dem Polizeiwagen hinüber, in dem Belders wartete, der eine halbe Stunde lang vergeblich versucht hatte, Inspektor Card in London an die Strippe zu kriegen.
»Sie ist nicht mehr da«, sagte Raven, nachdem der Kommissar die hintere Tür geöffnet
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