Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Schädelpanzer, in denen die Antennen gesessen hatten, sickerten zwei dünne Blutfäden.
Raven stand vorsichtig auf und blieb in sicherer Entfernung stehen. Das Monstrum reagierte nicht auf die Bewegung.
Seine Vermutung war richtig gewesen - ohne die beiden Fühler war das riesige Scheusal hilflos.
Er blieb einen Moment reglos stehen und betrachtete das Ungeheuer neugierig. Seine Knie zitterten, und er merkte plötzlich, wie sehr ihn der kurze Kampf angestrengt hatte. Die Entscheidung war wirklich in letzter Sekunde gefallen. Hätte das Ungeheuer noch wenige Augenblicke länger durchgehalten, wäre er jetzt tot.
Er reckte sich, massierte seine schmerzenden Oberarme und begann dann mit einer genaueren Inspektion der Höhle.
Der Felsdom war gigantisch. Sein Hintergrund verlor sich irgendwo in schattiger Schwärze, aber das, was Raven sehen konnte, war groß genug, um ein Zehnfamilienhaus aufzunehmen. Der Boden war - wenn man von den dolchspitzen Felsen absah, die wie heimtückische Riffe aus dem ansonsten glatten Fels wuchsen - relativ eben. Die Seitenwände wuchsen fast senkrecht in die Höhe, neigten sich irgendwo hoch über seinem Kopf gegeneinander und bildeten ein spitzes, an ein Kirchenschiff erinnerndes Dach.
Raven drehte sich einmal um seine Achse. Die Rückwand der Höhle unterschied sich kaum von den Seiten - auch sie war glatt, fast senkrecht und in etwa zwanzig Metern Höhe von einer Anzahl runder Löcher durchbrochen. Gänge möglicherweise, die aus dieser gigantischen natürlichen Falle hinausführten.
Raven spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, es mit einem von ihnen zu versuchen, aber er verwarf die Idee fast sofort wieder. Die Wand war viel zu glatt, um hinaufzusteigen. Nein - er hatte nur eine Wahl. Er musste den Teil der Höhle erforschen, aus dem das Monstrum gekommen war. Seine Anwesenheit bewies, dass es dort einen Ausgang geben musste.
Raven drehte sich abermals herum und versuchte, das verwirrende Muster aus Dunkelheit und trüben, grauen Schatten mit Blicken zu durchdringen. Der hintere Teil der Höhle unterschied sich stark von dem Bereich, in dem er aufgewacht war. Der Boden war dort uneben, mit einer verwirrenden Vielfalt von Rissen, Sprüngen und breiten, bodenlosen Schächten und Löchern durchzogen und mit einem ganzen Wald spitzer, messerscharfer Felsen bewachsen.
Der Gedanke, in diesem steinernen Labyrinth vielleicht auf ein weiteres Ungeheuer zu treffen, behagte ihm gar nicht. Aber er konnte schlecht hier sitzen bleiben und ruhig abwarten, was weiter geschah. Wenn diese Riesenschabe - wie er vermutete - eine Art Wächter des unterirdischen Labyrinths war, dann würde früher oder später jemand auftauchen und nachsehen, was geschehen war. Und Raven zog es vor, dann nicht mehr hier zu sein.
Er blieb einen Moment unschlüssig stehen, warf einen Blick auf den reglosen Körper des Riesenkerbtieres und zuckte zusammen.
Die Wunden an seinem Schädel hatten aufgehört zu bluten. Und in den ausgefransten Löchern bildeten sich dünne, rosarot glänzende Fäden.
Die Fühler wuchsen nach!
Raven atmete scharf ein und lief los. Es würde nicht allzu lange dauern, bis das Ungeheuer wieder voll einsatzfähig war. Und wahrscheinlich würde es sehr, sehr wütend auf den vorwitzigen kleinen Menschen sein, der ihm das angetan hatte.
Raven warf einen letzten gehetzten Blick über die Schulter und drang dann in den steinernen Wald ein ...
Es wurde dunkler, aber das Licht verschwand nicht ganz. Das geheimnisvolle, rot pulsierende Leuchten, das die Höhle hinter ihm erhellt hatte, erlosch nach wenigen Metern, aber auf den Felsen um ihn herum lag eine schleimige, übel riechende Schicht, die eine trübgraue Helligkeit ausstrahlte.
Raven blieb stehen und berührte die Masse neugierig mit den Fingern. Sie war warm, weich und gab unter dem Druck seiner Hand nach. Sie pulsierte, als wäre sie von Leben erfüllt.
Er verzog angeekelt das Gesicht, wischte sich die Hand an seiner Jacke ab und ging vorsichtig weiter. Die Felsen standen dichter, je tiefer er in das granitene Labyrinth eindrang, und mehr als einmal musste er von dem eingeschlagenen Weg abweichen, um jäh aufklaffenden Rissen und Schächten auszuweichen, aus denen rötliches Flackern und ein warmer, schwefeliger Geruch zu ihm emporwehten.
Das Vorwärtskommen wurde mit jeder Minute schwieriger. Schließlich blieb er erschöpft stehen, lehnte sich gegen einen Felsen und rang keuchend nach Atem. Seine Hände zitterten, als er in die
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