Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Labyrinth aus gleichförmigen Stollen und Korridoren. Raven verlor bereits nach wenigen Augenblicken die Orientierung. Die Gänge glichen sich einer wie der andere. Der Schattenreiter schien seinen Weg jedoch genau zu kennen. Er dirigierte Raven mit Stößen in den Rücken vor sich her und blieb schließlich vor einem geschlossenen Tor stehen.
»Tritt zur Seite!«, befahl er halblaut.
Raven gehorchte. Der Dämon warf ihm einen warnenden Blick zu und hantierte an der Tür. Die schweren bronzenen Flügel schwangen lautlos auf.
Dahinter lag eine hohe, von blakenden Fackeln beinahe taghell erleuchtete Halle. Der Dämon stieß Raven grob durch die Tür, schloss die Torflügel hinter sich wieder und deutete dann mit einer befehlenden Kopfbewegung auf eine schmale Steintreppe, die an einer der Seitenwände emporführte. »Dort entlang!«
Raven setzte sich gehorsam in Bewegung. Der Schattenreiter folgte ihm, wenn auch jetzt in größerem Abstand. Er schien sich seines Gefangenen jetzt merklich sicherer zu sein.
Die Treppe führte steil in die Höhe und endete vor einer schmalen, unverschlossenen Holztür. Dahinter kam ein weiterer Gang, wieder eine Treppe, die diesmal in die Tiefe führte, noch ein Stollen ...
Das sinnverwirrende Labyrinth setzte sich noch weiter fort. Die Anlage musste gigantisch sein. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, den Dämon zu überwältigen, hätte Raven niemals bis hierher gefunden. Dieses unterirdische Rattenloch war so groß, dass es sich praktisch allein beschützte. Einen einzelnen Menschen in diesem Labyrinth von Gängen und Stollen zu finden war so gut wie aussichtslos.
Schließlich erreichten sie eine weitere Bronzetür. Der Schattenreiter gebot ihm mit einer herrischen Geste anzuhalten, trat an die Tür und legte die Hand auf eines der komplizierten Muster.
Das tonnenschwere Tor schwang lautlos auf.
Und dahinter ...
Raven wusste sofort, wen er vor sich hatte ...
Den Assassinen!
Card öffnete stöhnend die Augen, blinzelte verwirrt und setzte sich auf. In seinem Schädel war ein dumpfer, dröhnender Schmerz, und als er den Kopf bewegte, wallte Übelkeit in ihm hoch.
»Nur die Ruhe«, sagte eine Stimme neben ihm. »Das vergeht gleich.« Ein leises, erleichtertes Lachen. »Ich dachte, Sie kommen überhaupt nicht mehr zu sich.«
Card sah verwirrt auf und blickte in ein bebrilltes Eulengesicht.
»Kemmler«, murmelte er.
Der Sergeant nickte. »In voller Lebensgröße.« Das Lächeln verschwand wie fortgewischt aus dem Gesicht des jungen Sergeant. »Wie fühlen Sie sich?«
Card versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen, und setzte sich vollends auf. Er lag noch immer an derselben Stelle, an der er zu Boden gegangen war. Jemand hatte eine zusammengerollte Decke unter seinen Kopf geschoben, und links von ihm blitzte das rotierende Blaulicht eines Streifenwagens durch die Nacht.
»Was ist passiert?«, fragte er mit belegter Stimme.
Kemmler zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, dass Sie mir diese Frage beantworten würden. Ihr Fahrer hat uns über Funk verständigt, nachdem er die Schüsse gehört hat. Warum sind Sie allein in das Haus gegangen?«
Card grinste verlegen und schüttelte den Kopf. »Weiß ich auch nicht. Vielleicht aus falsch verstandenem Heldenmut.«
Kemmler schien es vorzuziehen, nicht auf die Bemerkung einzugehen. Er seufzte, streckte Card die Hand entgegen und half ihm aufzustehen. »Sie haben verdammtes Glück gehabt, wissen Sie das?«, fragte er.
Card nickte und tastete mit zusammengekniffenen Lippen nach der Beule an seinem Kopf. Wenn das Monstrum ein bisschen besser gezielt hätte, gäbe es jetzt einen Toten mehr auf der Insel.
»Ihr Fahrer hat mich alarmiert«, begann Kemmler noch einmal. »Nachdem er die Schüsse gehört hat, wie gesagt.« Er seufzte. »Ich muss gestehen, der Mann hat uns eine ziemlich haarsträubende Geschichte erzählt.«
»Glauben Sie ihm«, brummte Card. »Sie stimmt.«
»Wer sagt, dass ich ihm nicht glaube?«, fragte Kemmler erstaunt.
Card sah verdutzt hoch.
»Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Inspektor«, fuhr der Sergeant fort. »Und bei unserem Freund Stevens ebenfalls.« Er schüttelte den Kopf. »Das sind also Ihre ominösen Schattenreiter.«
»Es sind nicht meine Schattenreiter«, sagte Card gereizt. »Außerdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie aufhörten, in Rätseln zu sprechen.«
Kemmler nickte und setzte eine schuldbewusste Miene auf. »Sicher. Also zum dritten Mal: Der Fahrer hat Sie
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