Raven - Schattenreiter (6 Romane)
»Lorimar, um Gottes willen - spring schon!«
Eine dunkle Gestalt erschien hinter der Flammenwand.
»Spring!«, schrie Standley verzweifelt. »So spring doch!«
Lorimar sprang.
Er hechtete in einem eleganten Bogen durch die Flammen, prallte auf den morschen Dielen auf und kam mit einer schwungvollen Rolle wieder auf die Füße.
Und genau in diesem Moment zuckte eine grelle Feuerlanze durch die Flammenwand und traf ihn zwischen den Schulterblättern.
Lorimar schrie gellend auf und wankte an Standley vorbei auf die Treppe zu. Er fiel vornüber, ruderte einen Moment lang mit den Armen in der Luft und stürzte die Treppe hinab.
Standley erwachte endlich aus seiner Starre. Er keuchte, warf einen letzten, verzweifelten Blick auf die tobende Flammenwand hinter sich und taumelte die Treppe hinab, jederzeit auf einen zweiten tödlichen Blitz gefasst.
Lorimars Leichnam war auf dem ersten Treppenabsatz liegen geblieben. Standley setzte mit einem verzweifelten Sprung darüber hinweg. Auch hier griffen die Flammen bereits nach dem morschen Holz der Treppe und ließen es knisternd und prasselnd Feuer fangen.
Überall im Haus wurden jetzt Türen und Fenster aufgerissen, Menschen sprangen auf den Flur, schrien entsetzt auf oder starrten in stummem Schrecken in die Flammen, die sich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das trockene Holz des Treppenhauses fraßen. Standley prallte gegen einen Mann, verlor das Gleichgewicht und fiel kopfüber den nächsten Treppenabsatz hinab. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Rücken.
Eine Frau lief schreiend an ihm vorbei, ein halb nacktes Kind an sich gepresst, und über ihm löste sich ein Teil des Treppengeländers und stürzte brennend in die Tiefe.
Das Feuer loderte heller auf, als immer mehr und mehr Menschen aus ihren Wohnungen stürzten und die Flammen durch den nachströmenden Sauerstoff neue Nahrung erhielten. Die oberen Stockwerke des Hauses hatten sich bereits in ein Flammenmeer verwandelt, aus dem es kein Entkommen mehr gab, aber das Feuer fraß sich gierig weiter.
Standley versuchte aufzustehen, aber es ging nicht. In seinem Rücken tobte ein wilder Schmerz, und sein Körper schien von den Hüften abwärts taub und gefühllos zu sein.
Er keuchte, blickte aus schreckgeweiteten Augen hinter sich und kroch verzweifelt rückwärts. Kleine, feurige Schlangen leckten über die hölzernen Stufen, liefen im Zickzack auf ihn zu und eilten der brüllenden Feuerwalze voraus. Die Hitze war unerträglich. Licht, grausames, unerträglich grelles Licht drang durch Standleys geschlossene Augenlider.
Er schrie, aber das Brüllen der Flammen verschlang seinen Schrei.
Die Ampel sprang von Grün auf Gelb, als Raven noch etwa zwanzig Meter von der Kreuzung entfernt war. Für eine halbe Sekunde schwebte sein Fuß über dem Bremspedal, dann trat er entschlossen das Gaspedal bis zum Boden durch, und der metallicgrüne Sportwagen schoss mit einem wütenden Satz über die Straßenkreuzung.
Hinter ihm klang ein verärgertes Hupkonzert auf. Raven grinste schadenfroh, als er im Rückspiegel sah, wie der Fahrer eines dunkelroten Porsche sein Manöver nachzuvollziehen versuchte und den Wagen im letzten Moment vor der umschlagenden Ampel zum Stehen brachte. Er blinkte kurz, wechselte die Spur und ließ den Wagen mit aufbrüllendem Motor über den Asphalt schießen.
Im Grunde hatte er mehr als genug Zeit, die wenigen Meilen zu Wilburns Wohnung zurückzulegen. Aber es gab Tage, da juckte es ihn einfach in den Fingern - oder besser gesagt im rechten Fuß -, die PS des Maserati auszuspielen. Und heute war einer von diesen Tagen. Die Tachometernadel kletterte zügig nach oben und fiel nur langsam wieder zurück, als er den Fuß vom Gas nahm.
Der Verkehr war für die Tageszeit ungewöhnlich dicht, aber das fantastische Beschleunigungsvermögen des Sportwagens gestattete es ihm immer wieder, von Lücke zu Lücke zu springen und sich durch den Verkehrsstrom hindurchzumogeln.
Raven erspähte eine Lücke etwa zehn, zwölf Fahrzeuge vor sich, sah in den Rückspiegel und tippte kurz aufs Gaspedal. Der Wagen scherte wie ein schlanker Raubfisch aus der Kolonne aus und schoss mit quietschenden Reifen an einem halben Dutzend Fahrzeuge vorbei.
Den Polizeiwagen bemerkte Raven einen Sekundenbruchteil zu spät ...
Ravens Hochstimmung verschwand schlagartig, als er sah, wie das Blaulicht auf dem Dach des Streifenwagens zu blinken begann. Er nahm den Fuß vom Gas, lenkte den Wagen in die Kolonne zurück und
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